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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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reckten sich in den Himmel, Hände griffen nach ihm, um ihn herabzuzerren. Was sie herausforderte und ihren Zorn anstachelte, war seine Gewaltlosigkeit. Sie hatten auf Widerstand gehofft, um einen Grund zu haben, den Palazzo zu stürmen.
    Mit großen Gesten redete Gianni auf die Menge ein, die sich um ihn versammelt hatte, die immer näher kam und ihn gegen die Steinquader in seinem Rücken drängte. Wieder flogen ihm Worte entgegen, die ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen und zu verletzen schienen wie fliegende Steine. Schließlich hielt er inne, öffnete die Knöpfe seiner Soutane und ließ sie zu Boden gleiten.
    »Was tut er denn?«, fragte Michelangelo neben mir am Fenster alarmiert. Er lehnte sich weiter hinaus, um besser sehen zu können.
    »Er weiß genau, dass sie ihm nichts tun, weil er ein Kardinal ist«, erklärte Giulio fassungslos. »Das wagen sie nicht …«
    »Er will von Mensch zu Mensch mit ihnen sprechen«, erklärte ich skeptisch. »Er hofft, sie zur Vernunft zu bringen.«
    Vernunft!, dachte ich. Was ist das: Vernunft? Ist es vernünftig, wenn die Florentiner die Chance ergreifen, den selbstherrlichen Tyrannen Piero de’ Medici mit Feuer und Schwert aus Florenz zu vertreiben? Ist es vernünftig, wenn sie die Freiheit erringen wollen? Ja! Ist es vernünftig, sich für Gewaltlosigkeit zu entscheiden, um am nächsten Morgen die Rache des Verratenen zu fürchten? Nein! Es gibt keine vernünftigen Revolutionen – mögen ihre Gründe noch so bedacht und so nachvollziehbar sein, ihr Beginn noch so notwendig, um die lang ersehnte Freiheit zu gewinnen. Ihr Ende wird unausweichlich gewaltsam sein. Blutig. Tödlich.
    Piero drängte Michelangelo zur Seite und stellte sich neben mich an das Fenster, um zu Gianni hinunterzusehen, der mit erhobenen Händen zur Menge sprach. »Dieser Verräter!«, zischte Piero hasserfüllt. »Mein eigener Bruder! Er zieht seine Soutane aus, weil er glaubt, so die Macht in Florenz an sich reißen zu können. Hört ihr ihn ›Popolo e Libertà!‹ rufen? Dieser verdammte Verräter …«
    Gianni ein Verräter? Ich fuhr herum und schlug Piero mit der geballten Kraft meines Zorns ins Gesicht. Er taumelte zurück und riss im Fallen beinahe Michelangelo mit. Seine Gemahlin Alfonsina schrie auf, als hätte ich sie geschlagen, Pieros Kinder weinten, als sie ihren Vater am Boden liegen sahen. Als Piero sich aufrichtete und ich sein vom Hass verzerrtes Gesicht sah, schlug ich gleich noch einmal zu.
    Giulio ergriff meine erhobene Hand und riss mich von Piero weg: »Caterina, lass ihn …«
    »Du verdammter Idiot!«, schrie ich Piero an, der von Michelangelo festgehalten wurde, damit er nicht mit seinem Dolch auf mich losging. »Wie kannst du es wagen, Gianni als Verräter zu bezeichnen! Er riskiert sein Leben, um deines zu retten. Obwohl es keinen Scudo mehr wert ist. Sie wollen dich. Und rate mal, was sie mit dir vorhaben. Sie hassen dich!«
    »Von mir aus«, übertönte Piero mich mühelos. »Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten!«
    »Das hat Caligula auch gesagt, bevor er vom Volk gerichtet wurde, das sich mit seiner tyrannischen Herrschaft nicht abfinden wollte«, schrie ich ihn zornig an und riss mich von Giulio los. »Wen viele fürchten, der muss viele fürchten!«
    In seinem maßlosen Zorn stürzte sich mein Bruder auf mich, bevor Giulio sich zwischen uns werfen konnte. Pieros Faust traf mich im Gesicht, sein Siegelring riss mir die Lippen auf. Ich taumelte gegen Giulio, der mich auffing.
    »Piero!«, brüllte Giulio und hielt mich fest. »Caterina hat Recht. Wir müssen etwas tun: Gianni steht dort unten allein und schützt unser aller Leben. Es wird Zeit, dass wir uns Gedanken machen, wie wir seines retten!«
    »Wir müssen ihn in den Palazzo zurückholen«, schlug Giuliano entschlossen vor. »Dann schließen wir das Tor. Die Fortezza Medici kann einer Belagerung standhalten, bis wir alle – damit meine ich nicht nur Piero, sondern auch dich, Caterina! – uns wieder beruhigt haben …«
    »Wer von uns wagt sich hinaus, um Gianni zu retten?«, fragte Giulio ungeduldig.
    »Ich«, beschloss ich und ergriff den Degen, den Giulio auf Lorenzos Schreibtisch gelegt hatte. Mich hielt es keinen Augenblick länger in einem Raum mit Piero, meinem Bruder, der versucht hatte, mich zu töten, meinem Bruder, der es wagte, Gianni einen Verräter an den Medici zu nennen und in der Via Larga seinem unvermeidlichen Schicksal zu überlassen. Mit dem Handrücken wischte ich mir das

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