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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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geschlossen. Er hielt Wache an Giovannis Bett.
    Ich lag wach. Wie hätte ich in dieser Nacht schlafen können? An diesem Morgen – es war wirklich erst ein paar Stunden her! – war ich meinem Gefängnis im Palazzo Medici entkommen, nachdem ich die Tür aufgesprengt hatte. Ich war mit Schwefelgeruch am Talar und Blut im Gesicht durch die Straßen von Florenz gewandelt, und die Menschen waren furchtsam vor mir zurückgewichen. Meine Flucht und meine Rückkehr nach Florenz noch in derselben Nacht, um Giovanni zu finden. Welch ein Irrsinn! Nein, kein Irrsinn! Sondern das Vernünftigste, was ich jemals getan habe. Giovanni hatte Gott entsagt. Er wollte zu mir zurückkehren, hatte im Palazzo Medici nach mir gefragt und die erschütternde Antwort erhalten, ich sei abgereist. Wie sehr ihn diese Nachricht getroffen haben musste!
    Aber es gab noch Hoffnung. Girolamo und ich würden nach der Morgenmesse den Splitter entfernen und Giovanni würde leben.
    Mit diesem tröstenden Gedanken schlief ich endlich ein.

    »Wann hast du zuletzt gegessen, Celestino?«, fragte Girolamo.
    Seit der Operation waren drei Tage vergangen. Giovanni hatte überlebt, war aber noch nicht aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht. Seit drei Tagen und Nächten saß ich neben seinem Bett, hielt seine Hand und flößte ihm Suppe und Wasser ein.
    Ich sprach zu ihm und tat so, als antwortete er mir. Wir führten Gespräche, die wir vor Jahren hätten führen sollen, nach Lorenzos Tod. Wir sagten einander Dinge, die uns tief in unserem Inneren berührten, im Herzen, wo der Schmerz saß. Wir sagten einander Dinge, die mich zu Tränen rührten – nicht »Ich liebe dich« und »Ich will den Rest meines Lebens mit dir verbringen« oder »Ich werde dich nie wieder allein lassen« oder ähnlich sinnlose Versprechen, leicht dahingesagt im Rausch der Gefühle – sondern Worte wie: »Verzeih mir, denn ich habe dich verletzt!« und »Lass mich los, damit ich aus freiem Willen zu dir zurückkehren kann!«
    Ich hielt seine Hand und betrachtete sein Gesicht, war voller Hoffnung, dass er schon im nächsten Moment die Augen öffnete und mich anlächelte.
    »Celestino!«, fuhr mich der Prior an, und ich sah auf.
    Girolamo hielt mir eine Schüssel mit Haferbrei und einen Holzlöffel hin, aber ich winkte ab. »Ich bin nicht hungrig.«
    »Sei vernünftig! Du hast seit Tagen nichts mehr gegessen. Sieh dich nur an, du bist so dünn und zerbrechlich geworden. Die Fratres reden über dich und deine asketische Lebensweise. Sie halten Fra Celestino für einen Heiligen.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Weißt du noch, was du mir in der Nacht deiner Ankunft im Konvent versprochen hast, Celestino? Du hast mir geschworen, kein Aufsehen zu erregen. Du hast gelobt, die Ordensregeln einzuhalten und mich nicht in Versuchung zu führen, dich aus dem Konvent zu werfen. Auch wenn du einen himmlischen Namen trägst, bist du ein Mensch. Mit einem Körper, der hungert und dürstet und friert. Gib dich nicht selbst auf! Und wenn es nur ein Löffel voll ist – ich bitte dich: iss!«
    Er tauchte den Holzlöffel in den Haferbrei und fütterte mich wie ein Vater sein eigensinniges Kind. Ich wich ihm aus, aber er hielt mich fest, sodass ich ihm nicht entkommen konnte. Die Hälfte des Breis verschmierte in meinem Gesicht, aber mit der Geduld eines Engels wischte Girolamo mir die Lippen ab. Dann schenkte er mir einen Becher mit Wasser voll und reichte ihn mir: »Trink!«
    Ich trank. Den ganzen Becher auf einmal. Nur, damit er mich in Ruhe ließ. Allein mit Giovanni. Wir hatten uns noch so viel zu sagen …
    Dann brach ich zusammen – »Endlich!«, hatte Girolamo später erleichtert gesagt –, sank in die Knie und übergab mich. Mein Magen rebellierte gegen die ungewohnte Speise, wie mein Verstand gegen Girolamos Worte aufbegehrte.
    »Ich habe mich nicht aufgegeben«, würgte ich hervor, während er mir aufhalf.
    »Nachdem wir das nun geklärt haben, wünsche ich, dass du mich ins Refektorium begleitest«, sagte er. »Auf einen zweiten Löffel Haferbrei. Danach verordne ich dir Bettruhe. Du kannst in meiner Zelle schlafen. Wenn ich dich vor dem Vesperläuten hier an Giovannis Bett oder wieder in der Kirche auf dem kalten Boden im Gebet finde, kannst du dich auf etwas gefasst machen: meinen unheiligen Zorn! Ich finde deine Askese und dein selbstverleugnendes Verhalten unerträglich !«
    Ich lächelte todmüde.
    Savonarola konnte sich nicht damit abfinden, dass irgendjemand vollkommener war als er.

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