Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Francesco Pico hielt seinen Onkel offensichtlich für unzurechnungsfähig. Er entriss Girolamo die Verantwortung für Giovannis körperliche und geistige Genesung und quälte uns weiterhin mit seiner Anwesenheit im Konvent.
Für den Rest des Nachmittags verbannte mich der Conte aus der Zelle des Kranken. Als ich mich weigern wollte zu gehen, zog mich Girolamo mit sanfter Gewalt aus dem Raum.
Ich litt unter der Trennung von Giovanni. Wie gehetzt rannte ich durch den Konvent und konnte doch nirgendwo Ruhe finden. In der Apotheke beobachtete ich den Frater Infirmarius, wie er in seinem Steinmörser Pulver zerrieb und mischte, und sah die Cantarella oben im Regal, dachte an mein und Cesares Kind, das nie gelebt hatte, und floh aus der Apotheke. In der Basilika ging ich Gott auf die Nerven, weil ich Ihm zum ich weiß nicht wievielten Mal erzählte, was Giovanni und ich vorhatten, wenn Er uns endlich gehen ließ.
Nach dem Stundengebet irrte ich durch den Kreuzgang, auf der Suche nach einer Beschäftigung, die mich von den furchtbaren Gedanken an die französische Invasion ablenkte. Wie mir Girolamo nach dem Mittagessen mitteilte, war Charles nur noch zwei Tage von Florenz entfernt. Ich wollte mit Giovanni noch vor dem französischen Einmarsch aus der Stadt verschwinden, um uns eine »Audienz« bei Charles zu ersparen. Denn ich konnte mir lebhaft vorstellen, was er mit mir zu tun gedachte, wenn ich ihm in die Hände fiel.
Eine Weile sah ich den Schneeflocken beim Fallen zu, dann ging ich hinauf in die Bibliothek des Konvents, um mich dort auszutoben. Vergeblich: Angelo hatte während seines Aufenthaltes in San Marco die Bibliothek aufgeräumt. Jeder Foliant lag exakt dort, wo er hingehörte. Ich blätterte einige Bücher durch, las hier ein Kapitel, dort einen Absatz. Für das Stundengebet kehrte ich in die Kirche zurück, verschonte Gott mit weiteren Forderungen, aß mit Girolamo im Refektorium einen Teller Brotsuppe und erwartete sehnsüchtig das Nachtgebet.
Sobald Gian Francesco Pico sich zur Ruhe begeben hatte, schlich ich in Giovannis Zelle. Er hatte den Nachmittag über geschlafen, weil er ahnte, dass ich nachts zu ihm kommen würde. Er erwartete mich. Wir flüsterten eine Weile miteinander, ganz leise, sodass uns niemand hören konnte. Ich hielt seine kalte Hand. Trotz des Kohlebeckens fror er in der eisigen Zelle, und so legte ich mich neben ihn auf das Bett und breitete die Wolldecke über uns. Wir wärmten uns gegenseitig. Hielten uns aneinander fest.
Die Mitternachtsmesse verschlief ich in seinen Armen.
Dann kam der 17. November. Seit der Operation war eine Woche vergangen, aber Giovanni hatte sich noch nicht so weit erholt, dass er das Krankenlager verlassen konnte, um auch nur ein paar Schritte zu gehen. Ein Ritt durch den Schneesturm über die verschneiten Pässe nach Urbino wäre sein sicherer Tod gewesen.
Am Vortag hatte Girolamo seinem Freund eine Dosis Digitalis gegeben, um das Herz zu stärken, aber die Wirkung war die von Leonardos Feuerwerksraketen: eindrucksvoller Effekt, aber sinnlos. Für ein paar Stunden saß Giovanni im Bett, löffelte seine Suppe, scherzte und lachte und machte uns allen Hoffnung, dass er bald aufstehen würde, doch dann brach er zusammen und schlief den Rest des Nachmittags. Und die halbe Nacht.
Als Girolamo an diesem Morgen vom Palazzo della Signoria zurückkehrte und mir mitteilte, dass Charles am späten Nachmittag in Florenz einziehen würde, geriet ich in Panik.
Nur ein Wunder konnte Giovanni noch retten.
Also vollbrachte ich ein Wunder.
Mit dem geheimnisvollen Pulver aus Giovannis Laboratorium stürmte ich in die Apotheke. Girolamo hielt den neugierigen Frater Infirmarius in Schach, der unbedingt wissen wollte, was Fra Celestino in seiner Apotheke tat, während ich Glaskolben aus den Regalen holte, ein Feuer entzündete und zu laborieren begann.
Die Alchemie ist eine kreative Wissenschaft, keine analytische. Aber ich musste herausfinden, woraus der Staub bestand. Ich musste sichergehen, dass er Giovanni nicht umbrachte, wenn ich ihm von der Tinktur zu trinken gab.
Ich bat Girolamo um Aqua vitae, um den Staub aufzulösen. Er protestierte: Er habe doch keinen Aquavit im Konvent!
»Auch nicht zu ›medizinischen‹ Zwecken?«, fragte ich mit einem feinen Lächeln. Er murmelte etwas, was ich nicht verstand und vermutlich auch nicht verstehen sollte, verschwand und kehrte erstaunlich schnell mit einer Karaffe voll Branntwein zurück, die er wohl aus seiner Zelle
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