Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
weniger abenteuerlichen und aufregenden Zukunft entgegen:
Denn ich, Caterina Vespucci, war doch immer noch dieselbe.
Wohin sollte ich gehen? Diese Frage stellte ich mir erst, nachdem ich Florenz im dichten Schneetreiben verlassen hatte.
Nach Rom – zu Cesare? Nach Urbino – zu Guido? Nein, ich wollte ganz neu anfangen. In Mailand.
Wie Phoenix erschuf ich mich selbst neu, als ich mich aus den Ruinen meiner Vergangenheit befreite, die Asche verglühter Hoffnungen abschüttelte und mich hinaufschwang auf den Gipfel unsterblichen Ruhmes.
Während Charles von Florenz aus in Richtung Rom zog, um seinen Traum von einer französischen Vorherrschaft in Italien zu verwirklichen, verkaufte ich in Mailand meinen Saphirring, der mir zweihundert Dukaten einbrachte, mietete die ehemalige Bottega eines Malers und richtete dort, hinter der Kirche Santa Maria delle Grazie, mein neues Laboratorium ein.
Ich wollte kein Aufsehen erregen. Und das gelang mir auch einige Monate – bis ich meine Anwesenheit in Mailand mit einem eindrucksvollen Knall offenbarte: Mein Laboratorium explodierte mit einem Donnerschlag, den man bis Rom hören konnte …
Am Tag vor Weihnachten gab ich meine letzten Dukaten aus. Ich kaufte eine ganze Kiste dicker Kerzen, einen Schinken aus Parma, Oliven, Brot, Hefe, ein Fass Wein und etliche Säcke Zucker. Der Händler, der mir den Zucker auf einem Eselskarren anlieferte, fragte mich, ob ich einen Bäckerladen aufmachen wollte. Aber als er keinen einzigen Mehlsack in meinem Laboratorium entdecken konnte, zog er verwirrt ab.
Nach der Christmesse am Heiligen Abend schloss ich mich in mein Laboratorium ein und begann mit der Herstellung großer Mengen von Alkohol, der Grundlage des Parfums, das ich aus getrockneten Blüten destillieren wollte, um es zu verkaufen.
Amerigos erste Lieferung getrockneter Orangenblüten traf Ende Januar über Genua in Mailand ein. Dann folgten in regelmäßigen Abständen weitere Säcke voller Veilchenblüten aus Sevilla, Rosenblätter aus Valencia, Vanilleschoten aus dem Orient, Zimtstangen aus China, Weihrauch aus Arabien und anderer exotischer Düfte und Ingredienzien wie Iriswurzel, Ambra und Moschus. Amerigo, der von der Revolution in Florenz erfahren hatte, war erleichtert, endlich wieder von mir zu hören, und half mir gern.
Meist laborierte ich an zwei Operationen gleichzeitig: an der Destillation von Parfum vorn im Laden, wo ich auch die Glasphiolen verkaufte, und an der Transmutation der Prima Materia im Laboratorium, das durch eine feuerfeste Tür vom Laden abgetrennt war. Ich experimentierte mit einigen Rezepten, die ich Giovannis Notizbuch entnahm. Vor allem der ägyptische Duft der Tempelpriester des Anubis hatte meine Neugier geweckt, aber auch die Elixiria der erotischen Liebe sowie die tödlichen Gifte aus dem Extrakt bitterer Mandeln und aus der Essenz von Pfirsichkernen.
Wie besessen arbeitete ich, um zu vergessen. Aber alles, was ich tat, erinnerte mich schmerzhaft an Giovanni: Der Duft des ägyptischen Parfums beschwor die Nacht meiner Initiation, die Liebeselixiere erinnerten mich an meine unsterbliche Liebe für Giovanni. Wie sehnte ich mich nach seinen zärtlichen Berührungen, nach seinen Küssen, nach seinen sanften Worten! Wie sehr entbehrte ich seine Anwesenheit. Ich fror vor Einsamkeit. Ich stürzte mich in meine Arbeit, laborierte bis zum Umfallen, bis ich zu müde war, um nachts wach zu liegen und an ihn zu denken … wie er vom Elixirium getrunken hatte … wie er zum letzten Mal meine Hand losgelassen hatte.
Ich litt. Die Schmerzen der Gicht in meinem Körper waren unerträglich geworden. Die Gefangenschaft im Kellergewölbe des Palazzo Medici, die Dunkelheit, das Fasten, die Seelenqualen über Giovannis Tod, der Ritt nach Mailand durch den Schneesturm, das stundenlange Laborieren in der eisig kalten Bottega – all das hatte meinen Körper geschwächt. Mehr als einmal wünschte ich mir eine Phiole mit Aurum potabile, um wenigstens für ein paar Stunden schmerzfrei zu sein. Um schlafen zu können. Um vergessen zu können. Vielleicht, um wie Lorenzo sterben zu können – mit Würde. Es wäre so einfach, den Schmerz und das Leiden loszulassen … die Einsamkeit …
Nach dem Durchzug der Franzosen durch Mailand hatte eine unstillbare Gier nach Luxus und Zerstreuung die Reichen und Mächtigen erfasst. Meine Kundschaft wuchs von Tag zu Tag. Zuerst kamen nur einige Madonnen der Mailänder Nobiltà in meinen Laden, schnupperten an diesem Flakon
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