Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Steinen Brot machen, um den Armen zu helfen! Denn Gottes Wort bringe ich ihnen jeden Tag. Wie gern würde ich mich an der Neubildung der Regierung beteiligen, wie es mir die Signori nach der Flucht des Tyrannen angeboten hatten. Ich gestehe: Ich war stolz, als der Bannerträger mir diese Verantwortung anbot. Ich war so stolz, dass ich wie berauscht von Ruhm und Macht nach San Marco zurückgekehrt bin, um ernsthaft mein Gewissen zu befragen. Doch nach einer Nacht des Ringens kam ich zu dem Schluss: Ich konnte es nicht tun. Ich war vor Jahren der Welt entflohen und hatte mich in einen Konvent zurückgezogen – wie sollte ich, ein Frater, nun Florenz regieren? Und doch: Wäre eine Ablehnung dieser Verantwortung nicht ebenso stolz gewesen, geradezu selbstgefällig?
Gott versuchte mich auf grausame Weise: Ich konnte die Verantwortung nicht ablehnen, nicht gegen mein Gewissen. Und ich war mir über die Folgen vom ersten Tag an klar. Wenn ich mich in die Dornen der florentinischen Politik stürzte, würde ich mich verletzen und leiden. Ich würde meine Hoffnung auf meinen Seelenfrieden, auf meine innere Freiheit und die Loslösung von der Welt aufgeben, ein für alle Mal. Ich würde mich einmischen in Streitigkeiten von Parteien, von denen keine einzige meine eigene Überzeugung vertritt, ich würde mithelfen, eine Tyrannis durch eine andere zu ersetzen. Eine Aufgabe, an der ich scheitern muss. Nicht, weil sie gewaltig ist, nein, weil ich genau das tun muss, was ich an Papst Alexander und seinen Kardinälen immer kritisiert habe: Ich muss die Welt reformieren, nicht die Kirche.
Ich fühlte mich wie ein zum Tode verdammter Märtyrer, als ich mich schließlich entschied, dieses Kreuz auf mich zu nehmen.
Es gab so unendlich viel zu tun. Doch die politische Neuordnung war für mich nur der erste Schritt einer notwendigen moralischen Reform. Deshalb, und nur deshalb, ließ ich mich auf dieses Machtspiel ein. Ich konnte mein Ideal von der Freiheit verwirklichen. Der neue Regent von Florenz war kein Medici und auch nicht Girolamo Savonarola: Es war Jesus Christus!
Drei Monate nach der Vertreibung der Medici hatte Florenz eine neue Verfassung nach venezianischem Vorbild, das Rechtssystem war reformiert, das Steuersystem vereinfacht, das Bankwesen nach der Schließung der Banca Medici neu geordnet, und eine allgemeine Amnestie für die Feinde der Republik war erlassen.
Und ich habe mir Feinde gemacht, die erbittert gegen meinen Glauben an Einigkeit und Frieden kämpfen. Und gegen mich, den Frater, der sich anmaßt, Florenz als Gottesstaat zu regieren. Ihre Waffen sind die bösartigen Intrigen gegen mich: »Machtergreifung« nennen sie das, was ich getan habe. Augustiner und Franziskaner, aber auch einige Dominikaner stimmten in das Geschrei mit ein, das in einem Konzil von Theologen unter Vorsitz eines Dominikaners im Palazzo della Signoria gipfelte. Dieses »Konzil« wollte mich, den Mönch, der Gehorsam, Armut und Abkehr von der Welt gelobt hatte, wegen meiner Einmischung in die florentinische Politik zur Rede stellen. Als hätte ich es nicht von Anfang an gewusst! Aber ich ließ mich von ihnen nicht in die Rolle eines Märtyrers drängen.
Du hattest Recht, Celestino, als du dem sterbenden Angelo sagtest, der Mensch sei nicht frei, keinen Augenblick seines Lebens. Heute habe ich am Grab des Magnifico gebetet. Wie gut ich Lorenzo nun verstehen kann – seine Verbitterung über meine Angriffe, sein Schweigen. Ich tue nun dasselbe, weil ich nicht anders kann. Ich will aufhören, aber man lässt mich nicht. Die Fesseln des Gewissens binden mich wie Sisyphos an meine Aufgabe, die mich nicht mehr zur Ruhe kommen lässt. Wohin führt dieser Weg? Wohin führt deiner, Celestino?
Ich ließ den Brief sinken und starrte ins Feuer des Athanors.
Nein, Girolamo, der Mensch ist nicht frei. Aber er hat das Recht, an seiner Aufgabe zu zweifeln, sie mit Gott zu diskutieren. Wer sich selbst nicht infrage stellt, ist stolz. Wer nicht an der Aufgabe zweifelt, ist unwürdig und unfähig sie zu erfüllen.
Dann las ich weiter:
Alle Wege führen nach Rom. Wenn auch nicht für mich und dich, so trifft diese Redensart doch zumindest auf König Charles zu. Er zog am 31. Dezember 1494 mit seinem Heer in der Heiligen Stadt ein. Papst Alexander flüchtete in die Engelsburg und rief Sultan Bajazet, einen Ungläubigen, gegen den Allerchristlichsten König von Frankreich zu Hilfe. Unglaublich, aber wahr! Schließlich einigten sich der Papst und der
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