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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Augenblick, hatte ihre Augen geschlossen. Ich hatte den Attentäter im Castello Sforzesco sterben sehen, den Guido mit einem einzigen Schwerthieb getötet hatte. Der Tod gehörte zum Leben. Was mich so fassungslos machte, war mein eigenes Handeln: Ich nahm der jungen Frau ihre Würde. Das Letzte, was sie im Tode noch besitzen konnte.
    Widerwillig setzte ich das Skalpell an und öffnete den Körper mit einem tiefen und langen Schnitt. Dann griff ich in die kalte Höhle und tastete nach dem Herzen, das still und tot in meiner Hand lag. Ein Stück Fleisch, ohne Funktion. Ohne Gefühle.
    Ich verlangte nach einer Säge, und Leonardo half mir, den Schädel der Toten zu öffnen. Dann strich ich mit den Fingern über die Windungen des Gehirns. Wann war der letzte Gedanke entflohen?, fragte ich mich. Und was war geblieben? Eine sterbliche Hülle, ohne Aufgabe, ohne Streben nach … ja, wonach?
    »Der Mensch ist nur die Prima Materia«, sagte ich. »Er kann nicht fühlen und nicht denken. Das kann nur das Bewusstsein, die Seele, die transformiert wird. Ich bin nicht mein Körper, bin nicht meine Gefühle und auch nicht mein Verstand. Ich bin nicht der Name, den ich trage und auch nicht die Rolle, die ich spiele.«
    »Zweite Frage: Wer bist du?«, setzte Leonardo die Prüfung fort.
    Mensch, erkenne dich selbst, dann wirst du Gott erkennen! Ich musste herausfinden, wer ich wirklich war. Nicht, wer ich war, als ich beschloss, nicht mehr Caterina Vespucci zu sein. Nicht, wer ich wurde, als ich aufhörte, Caterina de’ Medici zu sein. Sondern wer ich war, bin und immer sein werde.
    Ja, ich hatte den Text meiner Rollen immer perfekt beherrscht. Ich war so sehr in meinen Rollen aufgegangen, dass ich mich selbst dabei vergessen hatte: Pflicht, Verantwortung und Disziplin. Nein: Selbstverleugnung! Ich hatte mich verkleidet wie im Karneval: In Rom war ich die Kardinälin, in Mailand die Giftmischerin des Herzogs, in Paris der Studiosus und in San Marco ein Mönch. Alles Schein statt Sein, dachte ich. Die Person hinter dieser spiegelnden Oberfläche, in der der Betrachter sehen konnte, was er sehen wollte, war nicht zu erkennen.
    Caterina, die Abwesende. Caterina, die Unbekannte. Die nicht Existierende. Piero hatte mir meine Identität geraubt – niemals konnte ich beweisen, dass ich Lorenzos Tochter war. Niemals konnte ich irgendetwas beweisen.
    Ich hatte mich im Labyrinth meines Lebens verirrt, und mir schien, dass ich immer noch in die falsche Richtung ging.
    »Ich bin …«, begann ich, zögerte, schwieg.
    Leonardo nahm mir das Skalpell aus der Hand: »Wer bist du, dass du dich in der Mortificatio töten willst?«, wiederholte er seine Frage. Nun verstand ich ihn.
    »Ich kann mich nicht nur aus meinem eigenen Willen zu Gott erheben, mit Ihm reden, sodass Er mir antwortet, die Aufgabe erfüllen, die Er mir gegeben hat – oder mich Ihm widersetzen«, flüsterte ich. »Ich kann auch in die tiefste Tiefe meines Selbst hinabsteigen. Es ist ein finsterer Abgrund, die Stufen sind steil und schlüpfrig, und ich kann leicht fallen auf dem Weg nach unten. Denn ich habe nichts, woran ich mich festhalten könnte, um nicht abzustürzen, nichts, was mir den Weg zurück ins Licht weist.«
    »Doch, der Mensch hat etwas«, widersprach Leonardo und ergriff meine Hand. Er führte sie in die offene Bauchhöhle der Toten und legte sie sanft auf die Gebärmutter. Dann drückte er mir das Skalpell wieder in die Hand.
    Ich öffnete die Gebärmutter mit einem langen Schnitt und tastete nach dem Foetus.
    Ungeborenes Leben. Hoffnung. Sinn?
    Leonardo war ein ebenso guter Seelenarzt wie Girolamo. Er hatte meinen Zustand erkannt: Einsamkeit mit allen zugehörigen Symptomen – Hoffnungslosigkeit, Ruhelosigkeit, Arbeitswut, Selbstverleugnung.
    Er wusste ja nicht, dass ich nie mehr schwanger werden konnte. In diesem Augenblick wurde mir die furchtbare Bedeutung dieser Tatsache bewusst. Ich würde nie Kinder haben können! Als Lorenzos Arzt mir das nach meiner Genesung mitteilte, war ich erleichtert gewesen. Meiner Karriere als Gelehrte, als Alchemistin stand nichts mehr im Weg!
    Aber nun? Ich hätte schreien können in meiner Hoffnungslosigkeit: Ich hatte nicht nur meine Identität verloren – ich würde auch nichts hinterlassen! Nichts, was an mich erinnerte. Nichts, was ich erschaffen hatte. Denn selbst wenn ich am Ende aller Transmutationen die Coniunctio, die Vereinigung mit dem Geliebten durchführte – die Frage, wer das nach Giovannis Tod sein würde,

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