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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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geschlafen hätten.«
    »Sie war der Jünger, den Jesus liebte«, rechtfertigte sich Leonardo.
    »Aber die allergrößte Frechheit«, unterbrach ich ihn, »ist dieser Jesus mit deinen Gesichtszügen!«
    »Dir entgeht nichts, nicht wahr?«
    »Nein. Nichts. Ich bin sogar fähig, das Undenkbare zu denken, Leonardo. So wie du. Ich will deine Schülerin werden!« Ich fragte nicht, und ich bat nicht. Ich forderte nicht. Nein, ich forderte ihn heraus: Wagst du es, dich als mein Maestro mit mir zu messen?
    »Du weißt, dass ich Giovanni ausgebildet habe. Jeder Maestro hat nur einen Schüler – das schreibt die Gilde vor«, antwortete Leonardo. War da Bedauern in seinem Blick?
    »Also gut«, gab ich großzügig nach. »Dann nicht als Schülerin, sondern als Assistentin.«
    »Ich habe einen Assistenten: Giacomo Salai.« Er sah meine Enttäuschung und fuhr fort: »Aber ich mache dir einen anderen Vorschlag. Du hast drei Jahre Lehrzeit hinter dir. Du hast deine Prüfung zur Maestra noch nicht abgelegt. Du könntest deine Examination bei mir durchführen. Ich bin Gildemeister in Mailand, wie Sandro Botticelli in Florenz. Wenn du die Prüfung bestehst, könnten wir wie Kollegen zusammenarbeiten. Das ist ein Experiment, das mich interessiert: Wir versuchen, ob wir zusammen laborieren können, ohne dass die Funken fliegen.«
    »Das wäre … fantastisch!«, freute ich mich.
    »Unter einer Bedingung!« Er hob mahnend den Finger.
    »Jede!«, rief ich euphorisch.
    »Ich akzeptiere kein anderes Ergebnis als summa cum laude .«
    Ich ignorierte den Einwand. »Wann wirst du mich prüfen?«

    »Komm um Mitternacht in meine Werkstatt im Palazzo Vecchio«, hatte Leonardo mich gebeten.
    Ich schlich durch die tiefen Schatten des Domes, der über mir in den Nachthimmel ragte. Lautlos huschte ich über die Piazza del Duomo zur Südseite der Kathedrale, zum alten Herzogspalast. Der Nachtwächter, der mit einer Fackel von der Residenz des Erzbischofs herüberkam, hatte mich nicht gesehen.
    Ein paar Schritte noch, dann verschwand ich in der Dunkelheit des Portals. Das Tor war nicht verschlossen – wie Leonardo versprochen hatte. Ich schlich in den Hof.
    Im Palazzo Vecchio hatten die Visconti und Sforza als Herzöge von Mailand residiert, bis der Hof ins großartige Castello Sforzesco umgezogen war. Ludovico hatte seinem Alchemisten vor wenigen Wochen einige der leer stehenden Räume als Laboratorium angeboten, und Leonardo hatte nur zu gern seine alte Bottega in der Nähe der Bronzegießerei für das Cavallo verlassen, die ihm längst zu eng geworden war. Nun residierte der »Fürst von Vinci« seiner Ansicht nach standesgemäß im alten Palazzo Ducale.
    Vom Hof aus betrat ich seine Räume im Westflügel des weiträumigen Palastkomplexes.
    Im ersten Saal hatte Leonardo seine Werkstatt eingerichtet. Hier arbeitete er an den Gussformen seines Cavallo, dessen gigantisches Terrakottamodell ich vor zwei Jahren im Castello Sforzesco gesehen hatte. » La mia fabbrica – meine Werkstatt«, so hatte Leonardo an diesem Nachmittag diesen Saal voller Stolz genannt. Doch das Terrakottamodell war von französischen Söldnern beschädigt worden, und in ganz Mailand gab es seit der französischen Invasion und der Herstellung von Kanonen nicht genug Bronze, um das Reiterstandbild Francesco Sforzas zu gießen.
    Im nächsten Saal befand sich Leonardos Malerwerkstatt. Aus der Dunkelheit ragten zwei große Ölgemälde ins Licht der Kerzen. Eine Anbetung der Magier, ganz in Schwarz und Gold gehalten, aber non finito, als hätte der Maestro die Lust am Entwurf verloren, daneben eine Madonna in der Felsgrotte, an der er offenbar noch arbeitete.
    Die hohen Wände waren bedeckt mit kolorierten Entwurfskartons für weitere Gemälde. Im düsteren Schein der Kerzen auf dem Arbeitstisch erkannte ich etliche Selbstporträts von Leonardo. Die Neigung des Kopfes und die Haltung der Hände legten Zeugnis ab, wofür der Maestro diese Skizzen verwenden wollte – für das Fresko des Abendmahls in Santa Maria delle Grazie. Dazwischen sah ich Entwürfe der Transmutationen. Besonders Judas – die Mortificatio – schien ihn zu faszinieren.
    Zwischen den mit Leim an der Wand befestigten Skizzen hingen Federzeichnungen einer seltsamen Maschine mit mehreren Flügeln, deren Funktion ich auf den ersten Blick nicht entschlüsseln konnte. Ungläubig starrte ich auf die Pergamente. Es war … ein Fluggerät!
    Neben den Skizzen der Flugmaschine hingen noch andere Entwürfe, unter anderem ein

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