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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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konnte ich nicht einmal beantworten! –, wäre die Vereinigung lustvoll … aber sinnlos, denn ich konnte nicht schwanger werden! Weisheit ist: Erkennen, Verstehen und Integrieren. Werde ich jemals das al-Iksir finden?, fragte ich mich verzweifelt.
    Leonardo entwand mir das Skalpell, bevor ich mich selbst verletzen konnte. Dann nahm er mir das Tuch ab, mit dem er mir die Augen verbunden hatte. Er schloss mich in seine Arme und hielt mich fest. Offenbar ahnte er, was in mir vorging. Ich vergrub mein Gesicht in seinen langen Haaren und weinte.
    »Es gibt noch eine dritte Frage«, erinnerte er mich sanft.
    »Wie lautet sie?«, fragte ich mit einem Schluchzen in der Stimme.
    »Die dritte Frage lautet: Was wirst du tun?«
    »Das höchste Glück ist, sich selbst zu genügen«, sagte ich trotzig. »Ich werde weiter laborieren.«
    Er lachte leise. »Ist das ein stoisches ›Kämpfe gegen dich selbst!‹ auf dem endlosen Weg zur Vollkommenheit?«
    »Nein, Leonardo. Es ist ein: ›Befreie dich selbst!‹ Von allem. Vor allem von der Erwartung, jemals etwas vollenden zu können oder jemals selbst vollkommen zu werden.«
    Leonardo grinste, und ich verstand, warum. Er war bekannt dafür, dass er viele Gemälde nicht zu Ende malte, sondern sie, wie die Anbetung der Magier, im Zustand des Nonfinito beließ.
    »Ich glaube, wir werden gut zusammenarbeiten, weil wir viel voneinander lernen können, Maestra «, lächelte er. »Zumindest, bis wir beide das Stadium unserer höchsten Unvollkommenheit erreicht haben …«

    Individualismus, ob er sich nun in Leonardos Eitelkeit und seinem ausgetüftelten Persönlichkeitskult oder in meinem Stolz und der Verklärung meiner selbst zeigte, ist eine Form der Unvollkommenheit. Und wenn der Individualismus zum Glaubensbekenntnis erhoben wird, prallen die Ikonen wie Urgewalten aufeinander. So wie Leonardo und ich.
    Wir waren wie Feuer und Wasser. Die Explosionen zwischen uns entluden sich mit Blitz und Donner und wirbelten im Laboratorium eine Menge Staub auf. Meist flüchtete Giacomo Salai, Leonardos junger Assistent, während unserer Wortgefechte aus dem Raum, um nicht in die Schusslinie scharfer und verletzender Worte zu geraten.
    Ich kann mich nicht erinnern, dass Leonardo und ich auch nur ein Mal einer Meinung gewesen waren, nachdem ich in den Palazzo Ducale gezogen war. Nicht über die Durchführung der letzten drei Transmutationen Separatio, Mortificatio und Coniunctio, nicht über die gemeinsamen Mahlzeiten – er war Vegetarier – und schon gar nicht über die Zeit der Nachtruhe. Die Inspiration sei ein Kind der Nacht, pflegte er zu sagen. Und die geduldige Beharrlichkeit sei ein Kind des Tages, konterte ich schlagfertig.
    »O Gott, ich danke Dir, dass Du mir diese Frau geschickt hast, die mich durch ihre Unfehlbarkeit an meine eigene Unvollkommenheit erinnert. Ich wollte schon verzweifeln, weil ich dachte, ich hätte nichts mehr zu lernen!«, rief er nach einem unserer erbitterten Wortgefechte aus. Dann zog er sich beleidigt in seine Werkstatt zurück und bastelte stundenlang an seiner Flugmaschine.
    In einem unserer »Fegefeuer der Eitelkeiten« hatte ich Leonardo energisch aufgefordert, seinen Schüler Giacomo Salai zu entlassen, weil er weder für die Kunst der Alchemie noch für die Kunst der Malerei das geringste Talent besaß, doch er schleuderte mir sein zorniges Nein entgegen. Als der Feuersturm sich gelegt hatte, bat er mich, ihn für ein paar Tage zu begleiten. Er wollte mir etwas zeigen.
    »Wohin wirst du mich führen?«, fragte ich zum zweiten Mal.
    Doch dieses Mal erwiderte er: »Zu deinem Läuterungsberg. Es wird Zeit, dass wir beide dem Inferno entkommen. Ich will es nicht länger ertragen.«

    Am nächsten Morgen brachen wir auf. Wir ritten zum Lago Maggiore, wo wir die erste Nacht unter einem funkelnden Sternenhimmel am Seeufer verbrachten. Am Abend lagen wir an einem prasselnden Feuer und blickten hinauf zu den Sternen. Wehmut überfiel mich, als ich mich erinnerte, wie oft Amerigo mir als Kind auf den Hügeln über Florenz die Sterne gezeigt hatte.
    Noch vor Sonnenaufgang brachen Leonardo und ich auf, ließen den Lago Maggiore hinter uns und ritten ein westlich gelegenes Tal hinauf, bis wir ein kleines Dorf erreichten. Es bestand aus einigen Häusern piemontesischer Bergbauern, die auf den Almen ihre Kühe weideten.
    In der Osteria erzählte Leonardo den mit offenem Mund und glänzenden Augen lauschenden Bergbauern fantastische Geschichten von einer angeblichen

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