Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
über die Skulpturen, denn die Kerzen in den Leuchtern waren noch nicht entzündet worden. Schließlich erreichten wir die Cappella dei Magi neben der Treppe, die zum Hof hinabführte. Giulio öffnete die Tür und ließ mich eintreten.
Auf dem kleinen Altar in der Wandnische brannten vier Kerzen, die den Raum in ein goldenes Licht tauchten. Die Wände der Kapelle waren mit herrlichen Fresken bemalt, die die Reise der Drei Magier nach Bethlehem zeigten.
»Ich komme gern hierher«, gestand Giulio, als ich mich staunend umsah. Er setzte sich auf die geschnitzte Bank in der Wandnische, zog die Beine an und umschlang die Knie mit seinen Armen. »Diese Kapelle ist mein Refugium. Manchmal sitze ich hier und lese in den Evangelien. Oder ich spreche mit Ihm.«
»Du meinst, du betest …«
»Nein, Caterina. Ich sagte: Ich spreche mit Ihm.«
»Und antwortet Er dir?«, fragte ich.
»Ja, Er antwortet mir«, erwiderte Giulio ernst.
»Und was habt ihr beide zu besprechen, du und Gott?«
»Alles, was mich bewegt. Heute Morgen habe ich Ihn gefragt, ob ich mich zum Priester weihen lassen soll.«
»Und was hat Gott geantwortet?«, fragte ich gespannt.
»Er sagte: Wenn du willst.«
»Nichts weiter? Kein brennender Dornbusch, keine Erzengel, die dir Seine Nachricht überbrachten?«
»Machst du dich über mich lustig?«, fragte Giulio leise.
»Nein, Giulio. Bitte verzeih mir! Ich wollte dich nicht verletzen.«
»Gianni amüsiert sich immer über mich, wenn ich ihm von meinen Visionen berichte. Er nennt mich einen Propheten.«
»Florenz hat schon einen Propheten: Fra Girolamo Savonarola. Willst du ihm Konkurrenz machen?«
»Nein, Caterina. Ich nehme sonntags an seinen Gottesdiensten teil. Und manchmal besuche ich ihn zusammen mit Giovanni Pico im Kloster von San Marco. Giovanni und Fra Girolamo sind befreundet. Sie diskutieren in San Marco über Dinge, die selbst Thomas von Aquino zur Verzweiflung treiben würden. Meist sitze ich schweigend neben ihnen und höre fasziniert zu.«
Noch während Giulio mir von seiner Beziehung zu seinem Beichtvater Fra Girolamo erzählte, betrat Lorenzos Sekretär Filippo die kleine Kapelle und wandte sich an ihn: »Seine Magnifizenz wünscht Euch zu sprechen!«
»Ich werde kommen«, sagte mein Bruder, während er sich erhob. »Caterina, bitte entschuldige mich. Ich habe Lorenzo um eine Unterredung gebeten. Ich möchte ihm meinen Entschluss mitteilen, Priester zu werden.«
»Das wird ihn nicht freuen«, wandte ich ein.
Giulios schönes Gesicht verfinsterte sich. »Ich weiß. Lorenzo hat kein Vertrauen zu Piero als seinem Nachfolger. Sein zweiter Sohn Gianni ist Kardinal und kann ihm nicht nachfolgen. Und Giuliano ist noch sehr jung. Lorenzo setzt seine Hoffnungen auf mich. Es wird ihm überhaupt nicht gefallen, was ich ihm zu sagen habe.«
»Und wenn er dir seine Zustimmung verweigert?«
Giulio lächelte verkniffen. »Wenn er zornig ist, wird er mir vielleicht sogar das Studium verbieten …«
»Ich werde für dich beten, Giulio«, versprach ich.
»Danke, Caterina.« Dann drehte mein Bruder sich um und verließ die Kapelle. Ich blieb allein zurück.
Vor dem Altar kniete ich nieder. Ich wollte Gott bitten, meinen Bruder den Weg zu Ende gehen zu lassen, den Er ihm gezeigt hatte. Ich war so in mein Gebet versunken, dass ich nicht bemerkte, wie jemand die Kapelle betrat.
Erst ein verlegenes Räuspern ließ mich aufschrecken. Hinter mir stand Giovanni Sforza. »Ich bitte um Vergebung. Ich wollte Euch nicht stören …«
»Ihr stört nicht, Euer Gnaden«, versicherte ich ihm, obwohl ich lieber allein geblieben wäre. »Ich habe mein Gebet eben beendet.«
Der Conte kniete sich neben mich – so nah, dass wir uns beinahe berührten. Ich wollte mich erheben. Doch er zog meine Hand zu sich heran und hauchte einen Kuss auf meine Finger. »Ehrlich gesagt, wollte ich mit Euch sprechen«, gab er zu. »Ich habe Euch und Euren Bruder in der Loggia gesehen, und ich wusste, dass Ihr allein seid.«
»Und was haben wir allein zu besprechen?«, fragte ich kühl.
Seine Nähe beunruhigte mich. Er kniete zwischen mir und der halb geschlossenen Tür der Kapelle. Dieses Mal konnte ich nicht vor ihm fliehen – ich musste ihn anhören.
»Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt, verwitwet und habe keine Kinder. Mein Onkel, der Regent von Mailand, hat mich zum Conte von Pesaro ernannt, und ich reise hin und wieder als Ludovicos Gesandter an die Höfe von Florenz, Ferrara, Mantua und Urbino. Ich bin wohlhabend –
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