Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
gehört im Augenblick nicht dazu.«
Der Offizier nickte ergeben und eilte aus dem Raum.
»Ihr wollt fliehen?«, fragte ich ungläubig.
»Ich reite nach Innsbruck, um Maximilian um Unterstützung zu bitten. Und Ihr werdet mich begleiten!« Um mich von der Ernsthaftigkeit seiner Absicht zu überzeugen, drückte er mir die Klinge an die Kehle.
Einen Augenblick lang dachte ich daran, nach dem Dolch in meinem Ärmel zu greifen, um mich gegen die gewaltsame Entführung zu wehren. Aber sein Argument, ihn zu begleiten, war überzeugender: Die scharfe Klinge schnitt in die Haut meiner Kehle.
Ludovico zerrte mich aus dem Audienzsaal, schleppte mich mit Gewalt die Treppe hinunter in den Hof, wo die Pferde vorgeführt wurden. Einer seiner Leibwächter reichte ihm die Zügel seines Hengstes, und er schwang sich in den Sattel, während mir einer der Offiziere den Steigbügel hielt, weil mich der weite Alchemistentalar beim Aufsteigen behinderte.
Unruhig sah ich mich um, betrachtete die aufgeregten Gesichter der Männer, die Ludovicos Leben und sein Gold während der Flucht nach Tirol schützen sollten. Schwerter klirrten, Pferde scheuten. Diener mit Wertgegenständen unter dem Arm rannten durch den Hof. Hatte die Plünderung des Palastes durch die Dienerschaft schon begonnen?
Die Bewaffneten wurden ungeduldig, mahnten zur Eile, als Leinensäcke mit Golddukaten und eine schwere eisenbeschlagene Kiste, die wohl den wertvollen Diamantschmuck des Herzogs enthielt, auf Maultiere verladen wurden. Das Tor des Castello wurde geöffnet. Schwerter wurden gezogen, Zügel ergriffen.
Was sollte ich tun? Ich konnte unmöglich mit Ludovico fliehen! Selbst wenn wir es noch vor dem ersten Schnee über den Brenner schafften: Was sollte ich in Innsbruck? Oder in Wien? Schon wieder von vorn anfangen? Ich könnte nie wieder nach Mailand zurückkehren, wenn ich jetzt floh. Cesares Rache über meinen vermeintlichen Verrat wäre furchtbar. Ebenso wenig könnte ich nach Rom oder Paris gehen oder nach Florenz. Aber was war die Alternative zur Flucht? Die französischen Eroberer freundlich winkend zu begrüßen, die mir schon vor fünf Jahren bei ihrem Einmarsch in Florenz alles genommen hatten, was ich besaß? Demütig zu lächeln, wenn Cesare mich wieder »in Besitz nahm«, notfalls mit Gewalt, falls ich ihm im Bett Widerstand leistete? Nein, lächeln werde ich nicht!, schwor ich mir.
Mit einem Satz sprang ich vom Pferd und wäre beinahe gestürzt, als ich mich durch die Reihen der scheuenden Pferde und rennenden Diener drängte, einen Pferdeknecht mit der Schulter anrempelte und umwarf, zwischen zwei verblüfften Leibwächtern des Herzogs hindurchhuschte, um rennend, stolpernd, mich wieder aufraffend durch das Tor in die Rocchetta zu flüchten.
Ludovico wendete fluchend sein Pferd, galoppierte hinter mir her und versuchte mich aufzuhalten, doch ich war schneller. Ich stürmte durch das Tor, überquerte den Hof, rannte zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinauf, wohin er mir mit seinem Pferd nicht folgen konnte, verschwand in meinem Laboratorium, schlug die schwere Tür hinter mir zu und verriegelte sie.
Erschöpft sank ich vor der Tür zu Boden und rang nach Atem.
Ich bin frei!, dachte ich erleichtert, als niemand versuchte, die Tür zu öffnen, um mich gegen meinen Willen nach Innsbruck zu entführen.
Doch war ich das wirklich: frei?
Am 6. Oktober 1499 ritt Louis als siegreicher Eroberer in die Stadt ein, die er nicht erobert hatte und die nicht besiegt war. Mailand hatte ihm nach Ludovicos Flucht kampflos die Tore geöffnet.
Nach seinem triumphalen Einzug betrat Louis das Castello Sforzesco zusammen mit Herzog Cesare, Kardinal Giuliano della Rovere, dem Marchese von Mantua und dem Herzog von Ferrara und ihrem Gefolge. Ich beobachtete von einem der Fenster im ersten Stock aus, wie sie im Hof von ihren Pferden sprangen. Baldassare war im Gefolge seines Cousins Francesco Gonzaga ebenfalls nach Mailand gekommen.
Vor Leonardos Cavallo, dem Reiterstandbild von Ludovicos Vater Francesco Sforza, blieb Louis bewundernd stehen. Langsam schritt er um das Terrakottamodell herum. Cesare trat zu ihm, und die beiden unterhielten sich. Schließlich winkte der französische König einen Armbrustschützen seiner Leibwache heran und deutete auf das Bildnis Francesco Sforzas. Ein gezielter Schuss aus der Armbrust zertrümmerte das Gesicht, ein zweiter Pfeil zerstörte den Kopf aus Terrakotta, der zu Boden stürzte.
Louis schien sich über diese
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