Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
den Steinfliesen des Hofes ließ mich erleichtert aufatmen. Ihn wohl auch, denn die drei schienen mehr als einen Becher Wein getrunken zu haben. Er schloss die Hose, streckte sich genüsslich und kehrte zu den anderen und zum Würfelspiel zurück. Ich verharrte noch einige Minuten unbeweglich im Schatten und wartete, bis die Unterhaltung wieder aufgeflammt war. Dann schlich ich weiter.
Gerade hatte ich das Tor erreicht, als ich erneut Schritte hörte, energischer, schneller als zuvor. War meine Flucht bereits entdeckt worden? Ich verwarf diesen Gedanken. Die schwere Eichenholztür des Laboratoriums war verschlossen, und es würde einige Zeit dauern, sie aufzubrechen.
Wahrscheinlich glaubte Ludovico nicht, dass ich so verrückt war, in einer hellen Vollmondnacht die Flucht zu versuchen. Eigentlich hätte er mich mittlerweile besser kennen müssen …
Lautlos huschte ich durch den Torbogen hinaus in den weiten Innenhof. Fackeln beleuchteten die drei Stockwerke hohen, wehrhaften Mauern, die einer Belagerung trotzen, aber meine Flucht nicht verhindern konnten. Der Torre del Filarete, der auf der anderen Seite des Hofes nur von wenigen Fackeln beleuchtet in den Nachthimmel ragte, war bewacht, und das Tor zur Stadt war verschlossen. Auf den direkten Weg musste ich also dieses Mal verzichten. Bei meinem letzten Fluchtversuch vor einigen Tagen hatte ich mich als Gemüsehändlerin verkleidet, die ihre Waren ins Castello gebracht hatte und bei Sonnenuntergang ganz selbstverständlich in die Stadt zurückkehren wollte …
Dieser Weg war mir nun durch fünf Bewaffnete versperrt, die das Tor bewachten. Auch die Aufgänge zu den überdachten Wehrgängen oben auf den hohen Mauern, die den Hof begrenzten, waren gesichert. Dort konnte ich unmöglich hinauf – jedenfalls nicht auf dem üblichen Weg über die Treppen.
Ich wartete, bis der Vollmond hinter einer Wolke verschwand, dann rannte ich so schnell ich konnte mit der Leinentasche auf dem Rücken quer über den Hof zur Nordostmauer und drückte mich in den Schatten einer Befestigung. Eilig entrollte ich das Seil mit dem eisernen Haken, den ich im Feuer des Athanors aus einem Schürhaken geformt hatte. Er war stark genug, mein Gewicht zu tragen.
Ich steckte die selbst gebaute Feuerwerksrakete drei Schritte von der Mauer entfernt in den Sand, veränderte den Neigungswinkel ein wenig und befestigte den Haken und das Seil direkt unterhalb des Zündkörpers. Dann sandte ich ein Stoßgebet in den Himmel, dass meine Berechnungen zum Neigungswinkel und zur Menge des Sprengstoffs im Zündkörper stimmten: so viel, um Haken und Seil in die Höhe zu reißen, so wenig, dass es nicht explodierte. Ich entzündete den kurzen Docht, der fauchend zu brennen begann, und trat zwei, drei Schritte zurück, ohne den schützenden Schatten unterhalb der Mauer zu verlassen.
Zischend entflammte das Pulver, das ich in der vorigen Nacht gemischt hatte, und die Rakete schoss in den Nachthimmel. Wie der Schwanz des Drachen flog das Seil hinter dem Feuerschweif her. Die Rakete landete ausgebrannt irgendwo auf der anderen Seite der Festungsmauer. Nur ein leiser Schwefeldunst kündete von ihrer Flugbahn. Ich begann, das Seil Elle um Elle einzuholen, bis der eiserne Haken am Dach des Wehrgangs hängen blieb. Das Seil straffte sich.
Ich warf einen Blick über meine Schulter: Alles war ruhig, niemand hatte das leise Zischen der Rakete gehört, den sprühenden Lichtfunken am Himmel bemerkt. Der Wehrgang über mir war nicht besetzt, die Wachen hockten vermutlich im Turm und spielten Karten oder vergnügten sich anderweitig.
Armlänge um Armlänge kletterte ich an der Mauer empor. Immer wieder glitt das raue Seil durch meine Hände und meine Finger, Arme und Schultern schmerzten von der ungewohnten Anstrengung, aber ich zog mich höher und höher. Gerade als ich meine Stiefel über die Brüstung des Wehrganges schwingen wollte, wurde das Alarmsignal gegeben.
Meine Flucht war entdeckt worden!
Ich rutschte über die Brüstung und ließ mich auf den Boden des Wehrgangs fallen. Schwer atmend lag ich dort und wartete ab, was geschehen würde.
Die Bewaffneten, die die Aufgänge zu den Mauern bewacht hatten, stürmten Befehle brüllend zum Tordurchgang der Rocchetta, den ich vor wenigen Minuten durchquert hatte. Rufe wie »Sucht sie!« und »Sie darf nicht entkommen!« wehten zu mir herauf. Als könnten sie mich jetzt noch aufhalten!
Ich schloss die Augen und versuchte mir vorzustellen, wie Ludovico, wütend
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