Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
seine Bewaffneten mich immer wieder fanden und zurückbrachten, sobald ich die sicherste Festung Italiens verlassen hatte – als ob ich gar nicht fliehen wollte. Es brachte ihn in Rage, dass ich an meinem stundenlangen Versteckspiel in den Straßen von Mailand auch noch Spaß zu haben schien.
Ich demütigte den Herzog, indem ich ihm bewies, dass Mauern einen freien Menschen nicht einsperren können. Denn: Tota libertas est in ratione – die Freiheit existiert nur im Verstand.
Die Wochen und Monate vergingen. Der Frühling ging in den Sommer über, der Sommer in den Herbst.
König Louis hatte Mitte Juli 1499 sein Heer über die Alpen geführt, um mit Herzog Cesare und Kardinal Giuliano della Rovere in seinem Gefolge erneut in Italien einzufallen. Ludovico konnte der Invasion nichts entgegensetzen und zog seine Truppen zurück, um Mailand zu verteidigen.
Er war völlig isoliert auf dem Schlachtfeld Italien – sein Schwager, der Marchese Francesco Gonzaga von Mantua, und sein Schwiegervater, Herzog Ercole d’Este von Ferrara, hatten sich mit Frankreich verbündet. Niccolò Machiavelli verhandelte offen mit König Louis, und auch von Papst Alexander war keine Hilfe zu erwarten. Und selbst der durch die Franzosen bedrohte König von Neapel zeigte keine Sympathien für den Herzog von Mailand, der fünf Jahre zuvor siegesgewiss König Charles nach Italien geholt hatte. Ludovico schien das Spiel verloren zu haben, bevor der erste Spielzug gemacht wurde.
Als Genua sich kampflos ergab, ergriff Ludovico die Panik. Er sandte einen Boten zu Cesare, um dem Herzog von Valence mitzuteilen, dass ich Ludovicos Geisel war. Glaubte er ernsthaft, Cesare würde das Lösegeld zahlen und Mailand verschonen? Oder wollte er nur Zeit gewinnen, um Maximilian von Habsburg nach Italien zu holen? Doch auch der hatte Besseres zu tun, als Mailand zu retten – er kämpfte verbissen gegen die aufsässigen Schweizer, die sich vom Römisch-deutschen Reich unabhängig erklärt hatten.
Hat Ludovico eine Antwort auf sein Ultimatum erhalten?, fragte ich mich, als der Herzog mich Ende September zu sich rufen ließ. Ich war im Laboratorium gewesen, als ein Diener erschien, um mich zu ihm zu bringen.
Ich gebe zu: Ich war beunruhigt, als ich den Audienzsaal betrat, in dem Ludovico auf mich wartete. Würde Cesare bezahlen, um mich lebend zurückzubekommen? Und welches Schicksal drohte mir, wenn er sich weigerte, die Summe aufzubieten?
Ludovico war gereizt, das spürte ich sofort, als ich den Saal betrat. Mit einer herrischen Geste scheuchte er seine Gefolgsleute aus dem Saal. Irgendetwas war geschehen, und er suchte nach Worten, um es mir zu erzählen.
»Cesare hat das Ultimatum beantwortet«, sagte er schließlich, als wir allein waren. »Er ist zu keinen Verhandlungen bereit. Er schreibt: ›Mailand gehört König Louis, und Caterina gehört mir‹.«
»Sind das seine Worte?«, fragte ich verärgert.
Was bildete dieser selbstverliebte, ruhmsüchtige Narcissos sich eigentlich ein? Ich gehörte ihm – wie ihm sein Schloss in Valence gehörte, sein Titel, seine Pferde, sein Schmuck?
»Wollt Ihr seinen Brief lesen?«, fragte Ludovico.
Ungestüm entriss ich ihm den Brief und zerfetzte ihn.
In diesem Augenblick wurde die Tür des Audienzsaales aufgerissen und einer der Offiziere des Herzogs stürmte herein. »Die Franzosen greifen an, Euer Herrlichkeit! Sie stehen vor den Mauern von Mailand«, keuchte er. »Und die Venezianer greifen von Osten aus an! Die Festungen um Mailand sind gefallen. Wir sind eingeschlossen und müssen uns auf eine Belagerung vorbereiten!«
Ludovico stand wie erstarrt. Mit einem so schnellen Angriff von zwei Seiten hatte er offenbar nicht gerechnet. Das Castello war mit Waffen und Lebensmitteln für eine dreijährige Belagerung gut ausgerüstet, aber der Herzog hatte nicht genug einsatzbereite Truppen, um den schnell vorrückenden Franzosen und Venezianern ernsthaft Widerstand zu leisten.
Ludovico zog seinen Degen, packte meinen Arm und riss mich mit Gewalt an sich, als wollte er sein Leben mit dem meinen schützen.
»Lasst die Pferde satteln!«, befahl der Herzog, der zu allem entschlossen schien. »Wir nehmen das Gold und meinen Schmuck mit. Alles andere werden wir hier zurücklassen.«
»Wer aus Eurem Gefolge …«, begann der Offizier seine Frage.
»Niemand! Habt Ihr nicht verstanden, was ich gerade gesagt habe?«, brüllte der Herzog. »Ich werde nur das mitnehmen, was ich wirklich gebrauchen kann. Mein Gefolge
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