Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
die Hand auf den Arm gelegt hatte, als sie mein Gesicht sah. Beim Anblick des kleinen Rodrigo liefen mir heiße Tränen über die Wangen. Ich würde nie Kinder haben!
»Willst du ihn einmal nehmen, Caterina?«, hatte sie sanft gefragt. Nachdem ich mir trotzig die Tränen aus dem Gesicht gewischt hatte, reichte sie mir, ohne meine Antwort abzuwarten, ihren Sohn.
Du kleines Bündel Mensch, hatte ich gedacht, als ich den kleinen Rodrigo im Arm hielt: Jetzt liegst du still und schweigst und betrachtest fasziniert die Welt um dich herum, die so fremd und unverständlich ist und die du so gern erkunden möchtest. Dann lernst du laufen und sprechen, nur um herauszufinden, dass es besser ist, wenn du stillsitzt und schweigst und die Welt um dich herum beobachtest, die nur fremder und unverständlicher wird, je tiefer du in sie eindringst. Versuche niemals zu verstehen, warum die Menschen tun, was sie tun … was sie einander antun.
Mit dem Finger hatte ich ihm über das weiche Haar gestrichen, die kecke Nase, und ich hatte eine seiner winzigen Hände ergriffen. Er hatte die Lippen zu einem verträumten Lächeln verzogen und meinen Finger festgehalten. Ich hatte ihn an mich gedrückt, als wäre er mein Sohn, und ihn zart geküsst.
Lucrezia hatte mich gerührt umarmt. »Ich ahne, wie sehr du dich nach einem Kind sehnst, Caterina«, hatte sie geflüstert und mir liebevoll mit ihrem Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht gewischt. »Du kannst den kleinen Rodrigo jederzeit sehen und mit ihm spielen. Jederzeit!«
»Das ist sehr freundlich von dir«, hatte ich ihr gedankt.
»Nein, Caterina, es ist sogar ausgesprochen eigennützig. Dann besuchst du mich wenigstens hin und wieder, und wir können reden.«
»Reden?«, hatte ich gefragt. »Worüber?«
»Über dich. Über mich. Und über diejenigen, die uns davon abhalten, frei zu sein«, hatte sie so leise geflüstert, dass uns niemand verstehen konnte. »Caterina, ich bin froh, dass du wieder im Vatikan bist. Ich habe sonst keine Freundin, der ich vertrauen kann. Giulia Farnese hat Rom bald nach dir verlassen und ist zu ihrem Gemahl zurückgekehrt, Jofrés Gemahlin Sancha hat mittlerweile mit jedem meiner Brüder geschlafen. In wessen Bett sie sich derzeit von den Strapazen ihrer Liebesabenteuer mit den Borgia ausruht, kann ich nur ahnen, aber ich befürchte das Schlimmste. Ihr kann ich mich nicht anvertrauen.«
»Wieso solltest du mir vertrauen, Lucrezia? Ich war Cesares Geliebte. Und nun bin ich seine Gefangene.«
»Eben deswegen kann ich mich dir anvertrauen, Caterina. Wir sind in derselben Lage.«
Immer wieder dachte ich über Lucrezias Worte nach, während ich mich in Papst Silvesters Laboratorium einrichtete und die mittlerweile per Schiff aus Mailand eingetroffenen Säcke, die Amerigo mir von seiner letzten Reise mitgebracht hatte, und die Kisten mit meinen eigenen Glaskolben auspackte.
War Lucrezia eine Gefangene, wie ich? Sie wurde zu Ehebündnissen gezwungen und mit Männern verheiratet, die sie nicht heiraten wollte. Sie hatte Giovanni Sforza nicht geliebt. Und Alfonso von Aragón? Nun, den attraktiven und charmanten Alfonso, den schönen Märchenprinzen aller nächtlichen Wunschträume, hätte keine Frau aus ihrem Bett gejagt. Auch ich nicht. Alfonso und Lucrezia schienen sehr verliebt und glücklich zu sein. War also diese erzwungene Ehe gar nicht der Anlass zu ihrem Bedürfnis, sich mir anzuvertrauen? Hatte ich sie missverstanden? Aber was meinte sie dann, als sie sagte, wir wären in derselben Lage …
»Gefällt es dir?«, hörte ich eine Stimme hinter mir.
Ich erschrak so, dass ich beinahe den Alambic fallen gelassen hätte. Der Papst stand in der Tür meines Laboratoriums und beobachtete mich, wie ich die Glaskolben installierte. Ich hatte sein Kommen nicht bemerkt. Er hatte die weiße Soutane abgelegt und trug einen langen schwarzen Talar, der sich von meinem nur in der Farbe unterschied. Unter dem Arm hielt er ein zerlesenes Notizbuch. »Gefällt dir das Laboratorium?«, fragte er.
»Gerberts fünfhundert Jahre alter Alambic ist gesprungen und damit nutzlos, und sein Athanor erreicht nicht die nötige Temperatur für die letzten Transmutationen«, fasste ich meinen ersten Eindruck zusammen. »Die Glaskolben sind kürzlich benutzt worden. Für die Herstellung einer Tinktur.« Ich sah ihn scharf an.
»Ich habe tingiert«, erklärte er, als könnte ich mir das nicht denken. »Ich habe versucht, mit den Rezepten aus deinem Notizbuch Gold
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