Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
atmete schwer und war noch immer vom hohen Fieber geschwächt. Lucrezia hatte ihn aus dem Bett gezerrt, damit er ihr gegen ihren Bruder beistand. Schwankend stand er in der Tür und bedachte Cesare mit einem langen Blick.
Er schwieg. Doch sein Blick sagte mehr als tausend Worte.
Dann brach der Sturm los.
Der Tod macht uns lebendig, dachte ich. Der Tod macht uns sinnlich und lässt uns gierig nach dem Leben greifen. Trotz des Gewittersturms war die Nacht unerträglich heiß, und ich hatte mir das schwere Brokatkleid vom Leib gerissen.
Vollkommen nackt saß ich auf einem Sessel am Fenster meines Schlafzimmers und starrte in den strömenden Regen hinaus, der keine Abkühlung brachte. Die Regentropfen rauschten nieder und spritzten vom Fenstersims bis zu mir herüber. Ich erschauerte.
Erst vor wenigen Stunden hatte ich den toten Alfonso in den Armen gehalten. Ich fuhr mir über das Gesicht, um nicht wieder zu weinen. Ich hatte keine Tränen mehr, jedenfalls keine der Trauer. Mein Erschrecken über Alfonsos Tod und meinen Zorn auf den Mörder wollte ich nicht in Tränen ertränken.
Lucrezia hatte sich wenige Schritte entfernt in meinem Bett zusammengerollt und trotz der unerträglichen Schwüle die Decke bis zum Kinn hochgezogen. Sie hatte endlich aufgehört zu weinen. Schlief sie? Ich hatte ihr, nachdem ich sie in meine Wohnung gebracht hatte, Opium gegeben, damit sie Ruhe fand. Rodrigo war viel zu krank, um sich um seine Tochter zu kümmern,
die hysterisch schreiend vor seinen Füßen zusammengebrochen war. Und Cesare war wohl erleichtert, dass ich mich um seine weinende Schwester sorgte und sie in dieser Nacht nicht allein ließ.
Ich zog die Beine an, lehnte meinen Kopf gegen die hohe Rückenlehne des Sessels und wickelte mich in die tiefen Schatten der Nacht wie in eine schützende Decke, starrte in den niederrauschenden Regen hinaus und spürte fast schmerzhaft das Leben in mir. Wieso, dachte ich, macht uns der Tod so lebendig?
Alfonsos Begräbnis noch in der Nacht war würdelos gewesen. Nur wenige Menschen hatten von ihm Abschied genommen, während ein ängstlicher Priester ein paar Worte murmelte, die ohnehin niemand verstand. Welch ein Glück für Lucrezia, dass ich ihr mit einer Dosis Opium diesen grausamen Anblick ersparte. Sie hatte fest geschlafen, während wir Alfonso begruben. Wir!, dachte ich. Wir? Rodrigo war zu schwach gewesen, seinen Schwiegersohn auf dessen letztem Weg zu begleiten, und Cesare hatte sich rechtzeitig besonnen, den Abend bei Agostino Chigi zu verbringen und sich dort zu betrinken. Abgesehen vom Gefolge des Herzogs von Bisceglie waren seine Schwester Sancha und ich die einzigen Trauernden gewesen.
»Caterina? Bist du da?«, flüsterte Lucrezia. Sie hatte sich im Bett aufgesetzt und starrte durch die Finsternis.
»Ja, ich bin hier«, sagte ich laut, um den Regen zu übertönen.
»Ich habe Angst«, hauchte sie so leise, dass ich sie kaum verstehen konnte. »Bitte lass mich nicht allein!«
»Ich werde nicht weggehen, Lucrezia«, versprach ich ihr.
Ein Schmerz durchzuckte mich wie ein Dolchstich. Ich würde nicht gehen? Was versprach ich ihr da? Meine Sachen packen, aus dem Vatikan fliehen, Cesare für immer verlassen und nie mehr zurückkehren – das war es doch, was ich in dieser furchtbaren Nacht am liebsten getan hätte.
»Was machst du da am Fenster?«, fragte sie. »Kannst du nicht schlafen?«
»Ich will nicht schlafen. Nicht heute Nacht.«
Lucrezia schwieg eine Weile. In der Finsternis versuchte ich, ihr Gesicht zu erkennen.
»Du hast Alfonso geliebt, nicht wahr?«, fragte sie leise. Als ich nicht antwortete, fuhr sie fort: »Er war in dich verliebt, das weiß ich. Hattet ihr eine Affäre?«
»Nein.«
»Warum nicht?«, wollte sie wissen.
»Weil wir dich nicht verletzen wollten. Du hast in den letzten Monaten so oft davon geredet, mit Alfonso nach Neapel zu gehen, um dort mit ihm glücklich zu werden. Und er selbst wünschte sich nichts sehnlicher, als an den Hof seines Onkels zu gehen, um aus dem Vatikan … aus dem Inferno … zu entkommen.«
Lucrezia schwieg eine Weile. »Caterina, ich hätte mich nicht zwischen euch gestellt.«
Mein »Aber warum?« schwebte unausgesprochen zwischen uns.
»Ich will dich nicht auch noch verlieren«, schluchzte sie unter Tränen. »Alles habe ich heute Nacht verloren. Meinen Vater, meinen Bruder, meinen Gemahl. Meine Lebensfreude. Meine Hoffnungen auf eine glückliche Zukunft mit Alfonso, irgendwo weit weg von Rom.«
Ich setzte
Weitere Kostenlose Bücher