Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
damals bei Giovanni Sforza, der aus Rom fliehen musste, weil Rodrigo beschlossen hatte, dass die Sforza nicht länger in Mailand herrschen sollten. Alfonso hatte Angst gehabt, furchtbare Angst. Wie oft hatten wir darüber gesprochen, wenn wir allein waren … nein: allein zu sein glaubten.
»Alfonso war nur eine Spielfigur in diesem Spiel um die Macht«, flüsterte Lucrezia. »Eine wertlose, ersetzbare Figur, die entfernt werden musste, um einen Spielzug zu machen in Richtung Sieg.«
»Ersetzbar?«, echote ich fassungslos. »Glaubst du, dein Vater will dich wieder verheiraten, um ein neues Bündnis einzugehen?«
»Ja, natürlich. Aber ich will nicht, nie wieder. Die Männer, die es wagen, mich zu heiraten, leben gefährlich. Giovanni musste aus Rom fliehen, und als er sich weigerte zurückzukommen, hat mein Vater die Scheidung ausgesprochen, um mich an Neapel zu verkaufen. Alfonso hat sich seinem Willen nicht unterworfen. Er hat mich zu sehr geliebt. Dafür musste er sterben.«
»Ich verstehe nicht …«, sagte ich verwirrt.
»Wieso glaubst du, hat Cesare zugesehen, als Alfonso und du derart vertrauten Umgang miteinander hattet? Eine Affäre mit dir, der Geliebten meines Bruders, eine einzige leidenschaftliche Nacht in deinem Bett, und mein Vater hätte meine Ehe mit Alfonso geschieden und ihn nach Neapel verbannt. Wegen Untreue oder weiß der Himmel was. Meinem fantasiebegabten Vater wäre da sicher etwas eingefallen. Das hätte Aufsehen erregt, aber nicht mehr als meine Scheidung von Giovanni wegen angeblichen Nichtvollzugs der Ehe. Bitte glaube mir: Ich hätte mich nicht zwischen euch gestellt, Caterina. Denn eine Nacht mit dir hätte Alfonso das Leben gerettet!«
Der Regen hatte endlich aufgehört, irgendwann während der frühen Morgenstunden, als Lucrezia und ich Arm in Arm in meinem Bett gelegen hatten. Tiefrot wie eine Feuersbrunst ging die Sonne über Rom auf.
Ich saß allein in meinem Laboratorium, starrte in das Feuer des Athanors und dachte nach:
Cesare hatte mich kaltblütig benutzt, um sein Spiel zu spielen. Als er es nicht schaffte, mich in Alfonsos Bett zu locken, um ihn auf elegante Art loszuwerden, hatte ich ihm ein Motiv gegeben, Alfonso töten zu können, als ich die Armbrust fand.
Ich war mehr als zornig über meine Ohnmacht, mit der ich mich von Tag zu Tag tiefer in diesem Geflecht aus Lügen und Täuschungen verstrickte. Die Erkenntnis, dass ich selbst wie Alfonso ersetzbar war, hatte mich zutiefst erschreckt.
Ich dachte an Flucht. Doch wohin sollte ich gehen? Wo sollte ich mich verstecken? Wer sollte ich dieses Mal sein? Nicht mehr Caterina, Catalina, Cathérine, Carlotta, Cassandra, Cato, Cosimo und Celestino. Wer, zum Teufel, sollte ich sein? Wer wollte ich denn sein, außer ich selbst. Nein, ich konnte nicht fliehen.
Ich hatte eine Entscheidung getroffen: Ich hatte Lucrezia versprochen, bei ihr zu bleiben.
Aber ich musste noch eine weitere Entscheidung treffen …
Ich blätterte wieder im Folianten auf meinem Arbeitstisch und überflog Ibn Tufails Aufzeichnungen zur Mortificatio.
»Das Ziel des Opus ist die Erlösung der Seele …«, las ich. Und zwei Zeilen weiter: »… ist schwierig und voller Hindernisse und Gefahren. Noch während der ersten Transmutationen begegnet der Alchemist dem Drachen. Diese Begegnung bringt immer das Leiden.« Ibn Tufail schrieb, dass das Leiden erst mit der Mortificatio, der Tötung der Materie im Alambic beendet werden könnte. »Die vorletzte Transmutation ist die Erfahrung des Todes, im Alambic wie in der Wirklichkeit. Sie ist die schwierigste aller Operationen, denn sie ist kein Sieg des Alchemisten über die Materie, sondern seine Niederlage.«
Seine Niederlage!, dachte ich. Du hast Recht, Ibn Tufail, die Mortificatio ist eine Demütigung für jeden, der wie ich beharrlich versucht, sie durchzuführen. Ich wusste nicht mehr, wie oft ich in den letzten Jahren versucht hatte, das Experiment zu Ende zu führen. Immer wieder hatte ich von vorn begonnen und war an derselben Stelle gescheitert: Ich erkannte das erste Licht der aufsteigenden Morgenröte im Alambic – dann nichts mehr. Das Licht war erloschen, die Materie tot, das Experiment gescheitert, die Alchemistin erschöpft und so wütend, dass sie sich schwor, gleich am nächsten Morgen von vorn zu beginnen. Nur um wieder zu scheitern. Und noch einmal. Monatelang.
Was, zum Teufel, sollte ich denn lernen? Die Niederlage zu akzeptieren? Sollte ich aufgeben zu kämpfen? Sollte ich mich mit
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