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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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der Wirklichkeit abfinden und den Versuch aufgeben, sie verändern zu wollen? Sollte ich aufhören zu fragen, um Antworten zu finden, die mir gefielen? War es das, was den weisen Adepten ausmachte: rechtzeitig aufzuhören mit allem? Wie Sokrates zu bekennen, dass man nicht alles weiß, dass man nicht über alles Macht hat?
    War es weise, die Dinge geschehen zu lassen, ohne sie verändern zu wollen, sie zu akzeptieren, hinzunehmen, zu erleiden, ohne sich für den Mord an einem zärtlich geliebten Menschen rächen zu wollen?
    Entnervt klappte ich das Buch zu und fuhr mir mit beiden Händen über das Gesicht. Wozu das alles?, fragte ich mich. Wozu quälte ich mich Tag für Tag? Wozu hatte ich mir all mein Wissen erworben, wenn ich es doch nie an mein Kind weitergeben konnte?
    Wenn ich ehrlich war, musste ich zugeben, dass ich mich doch bereits in Mailand damit abgefunden hatte, dass ich das Elixier des Lebens niemals finden würde. War es nicht besser, jetzt aufzugeben, die Hoffnung auf ein Kind, das Sehnen nach Liebe, die Möglichkeit der Unsterblichkeit, mein ganzes Leben, bevor mein Name, mein Wissen und meine Macht noch weiter missbraucht wurden?
    Nein, ich durfte Rodrigo nicht weiter lehren, ich durfte ihm nicht noch mehr Macht geben, indem ich ihm den Weg zur Unsterblichkeit zeigte!
    Warten, hatte Giovanni in Florenz gesagt, sei die erste Lektion eines Alchemisten. Die zweite Lektion sei, zu erkennen, wann der Augenblick zum Handeln gekommen sei. Nun wusste ich, welches die dritte und schwierigste Lektion war: Das Aufhören aus freiem Willen. Denn was ist grausamer, als nicht fertig zu werden mit dem, was man tun muss, tun kann und von ganzem Herzen tun will?
    Entschlossen löschte ich das hell flackernde Feuer im Athanor mit einem Eimer Wasser und erlöste die Materie im Alambic aus ihren Qualen.
    Und mich selbst.

    Kleopatra hätte in Rom keinen eindrucksvolleren Auftritt inszenieren können als ich an diesem Abend im Palazzo della Rovere. Mein purpurrotes Atlaskleid war mit gutem Gewissen als gewagt zu bezeichnen, der Ausschnitt war tief, das Mieder so eng geschnürt, dass ich kaum Luft bekam. Die Blicke aller Anwesenden waren mir sicher, und ich genoss ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, als ich kurz vor Mitternacht während des Banketts in den Saal schwebte.
    Gianni, der sich gerade mit Giuliano della Rovere unterhielt, sah erschrocken auf, als ich den Saal betrat. Er wusste wie alle anderen Anwesenden, was am vorigen Abend im Vatikan geschehen war, und war nun erstaunt, mich bei Giulianos Bankett zu treffen. Giulio saß bleich wie der Tod neben seinem Cousin und starrte mich an.
    Giuliano hatte sich erhoben und kam mir entgegen, um mich zu begrüßen. »Wie schön, dass du gekommen bist. Ich habe gehört, was geschehen ist. Wie geht es dir?«
    »Es geht mir gut, Giuliano.«
    »Bist du sicher?«, zweifelte er.
    »Ganz sicher! Ich bin sehr lebendig, wie sollte es mir da nicht gut gehen! Ich bin dankbar und genieße jeden Tag, den Gott und Sein Stellvertreter auf Erden, Cesare Borgia, mir schenken. Wie kann ich denn wissen, wann Seine Selbstherrlichkeit entscheidet, dass ich wie Herzog Alfonso entbehrlich werde?«, sagte ich so laut, dass mich alle verstanden.
    Ein Raunen wehte durch die Reihen der Gäste. Weingläser wurden ungeleert zurückgestellt, alle hielten den Atem an, um sich nur ja kein Wort unserer Unterhaltung entgehen zu lassen. Mein Blick glitt über die Gesichter, die mich anstarrten.
    Giulianos Freund Agostino Chigi, der Bankier des Papstes, war gekommen, Kardinal Gian Battista Orsini und mein Cousin Rinaldo Orsini, der Erzbischof von Florenz, mein Cousin Gian Giordano Orsini, der Conte von Bracciano, Erzbischof Adriano da Corneto, der Sekretär und Vertraute des Papstes, der für seine Dienste in Kürze mit dem Kardinalspurpur ausgezeichnet werden sollte, Fra Mariano da Genazzano, der Ordensgeneral der Augustiner und ein alter Freund der Familie Medici, Gianni, Giulio und … Herzog Guido!
    Was will Guido in Rom?, fragte ich mich. Sucht er Verbündete gegen die Borgia – so wie ich?
    Ein leises Lächeln umspielte Giulianos Lippen, als er meine Blicke bemerkte – und Guidos Reaktion auf mein plötzliches Auftauchen. Giuliano gönnte mir meinen Auftritt aus vollem Herzen! Er hatte dieses Spiel schon zu oft selbst gespielt, um meinen Eröffnungszug nicht als grausame Rache zu erkennen.
    Mit einem unergründlichen Lächeln führte er mich an seine Abendtafel. Gianni rückte ein wenig zur Seite, um

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