Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
angefangen zu haben. Ich werde die Akademie in Rom gründen, die schon Gerbert d’Aurillac geplant hatte, bevor er Papst wurde. Er hat nur davon geträumt, doch ich werde es tun .«
Nicolaus unterbrach seine Wanderung durch mein Schlafzimmer am Fenster, stützte sich auf das Fenstersims und sah nachdenklich hinaus. Die vereisten Scheiben beschlugen unter seinem Atem. Schließlich sagte er: »Als du mir gesagt hast, dass du mit Lucrezia Borgia nach Ferrara reisen wirst, habe ich … nun ja … habe ich ein Horoskop erstellt, um zu wissen …«
»Um was zu wissen, Nicolaus? Ob ich reisen sollte oder nicht? Ich habe Lucrezia versprochen, sie zu ihrer Hochzeit mit Alfonso d’Este zu begleiten. Ich habe mir selbst versprochen, nach Ferrara zu gehen, um mir Schüler zu suchen und mit nach Rom zu nehmen. Und was sollte ich denn am Ende anderes erleben als meinen Tod? Um das zu wissen, brauche ich kein Horoskop, sondern eine ordentliche Untersuchung meines Medicus. Und dein Todesurteil war erschreckend eindeutig.«
Meine Wortwahl kränkte ihn. Er zog die Schultern hoch, wandte mir den Rücken zu und schien zu überlegen, ob nicht jedes weitere Wort überflüssig war. Ich hatte mich mit dem Sterben abgefunden. Schon seit Wochen dachte ich an nichts anderes. Mein Urgroßvater Cosimo, mein Großvater Piero, mein Vater Lorenzo, ich selbst: Wir gingen alle elend an der Gicht zugrunde. Aber ich wollte nicht im Bett sterben, niemals!
Ich besann mich. »Du hast mir bisher keines deiner Horoskope gezeigt, Nicolaus. Mich interessiert, wie du deine astrologischen Berechnungen anstellst«, meinte ich etwas versöhnlicher.
Vom Fenster aus warf er mir einen Blick zu, in dem ich Erschrecken über meinen Zynismus, aber auch Hoffnung las. Er zog ein gefaltetes Pergament aus der Innentasche seines Gelehrtentalars und kam zu mir herüber. Er reichte mir das Horoskop, und ich entfaltete mit steifen Fingern den großen Bogen, den ich kaum festhalten konnte.
Nicolaus hatte ein großes Quadrat gezeichnet, das ein kleineres, auf einer Ecke stehendes Parallelogramm beinhaltete. Die astrologischen Zeichen Mars, Venus und Saturn waren mit roter Tinte untereinander verbunden, mit den Symbolen für Quadrat und Trigon und Winkelangaben versehen, die mir nichts sagten. Mit Divination, der Erforschung der Zukunft durch die Astrologie, hatte ich mich im Gegensatz zu Giovanni nie ernsthaft beschäftigt. Ich hatte es immer vorgezogen, meine Zukunft selbst zu gestalten.
Ich reichte ihm das Pergament zurück: »Ich weiß damit nichts anzufangen, Nicolaus. Wärest du so nett, es mir zu erläutern?«
»Das ist dein Horoskop für das Jahr 1502 in Synastrie … bitte entschuldige: im Vergleich mit deinem Geburtshoroskop. Ich habe mit den Geburtsdaten gerechnet, die du mir genannt hast: April 1476, Florenz. Deine Sonne steht im Zeichen Widder, dein Aszendent in den Fischen. Feuer und Wasser, Anfang und Ende, Schöpfung und Vernichtung. Die unergründliche Tiefe unter dem heißen Lavastrom deines Temperamentes. Kein Wunder, dass du leidest. Ein faszinierendes Horoskop.«
»Es freut mich, wenn dir mein Horoskop gefällt«, seufzte ich und ließ mich in die Kissen zurücksinken, um ihm zuzuhören.
»Deine Lernaufgabe besteht darin, nichts mehr zu wollen und nichts mehr zu sollen, sondern die Dinge, über die du keine Macht hast, nur noch geschehen zu lassen. Das fällt dir schwer, weil das Gefühl der Macht, zu erschaffen und zu vernichten und das Vernichtete neu zu erschaffen, so verführerisch ist. Das ist ein schmerzhafter Prozess, der dich nicht zur Ruhe kommen lässt, aber er hält dich am Leben.«
» Das wusste ich auch ohne Horoskop, Nicolaus.«
Er ließ sich nicht beirren: »Zur Zeit deiner Geburt stand die Venus im Zeichen Stier. Das bedeutet große Sinnlichkeit und Hingabe gegenüber den Menschen, die du liebst, und Herzlichkeit und Loyalität gegenüber den Menschen, die du als deine Freunde erwählt hast. Dein Mars und dein Saturn …«
»Nicolaus!«, ermahnte ich ihn. »Bitte erkläre mir nicht die letzten sechsundzwanzig Jahre meines Lebens.«
»Ungeduldig wie immer«, seufzte er und besann sich. Dann wies er auf drei Symbole am Rand des Horoskops. »Das bedeutet, dass Venus im März 1502, also in zwei Monaten, mit der Venus deines Geburtshoroskops in Konjunktion geht, im Zeichen Stier, im zweiten Haus. Das zweite Haus«, Nicolaus deutete auf eine Ecke der Skizze, »ist ein Abschnitt des Horoskops, der den materiellen, geistigen,
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