Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
das wäre der Moment, wenn ich sterben würde. Nicolaus hatte vorhin im Scherz behauptet, wenn er meine Leiche sezieren dürfte, würde er sicher kein Herz finden … vielleicht einen Deus ex machina oder einen Abakus, aber kein Herz aus Fleisch und Blut: »Du behandelst deinen Körper wie eine Mechanik, die man benutzt, bis sie irgendwann zerschlissen ist und dich durch Schmerzen an sein Vorhandensein erinnert. Dein Verstand ist wie ein funkelnder Diamant, Caterina, aber dein Körper, der Tempel deiner Seele, verfällt.«
Wie Recht Nicolaus hatte! Ich verbarg die Wahrheit über mich selbst unter einem undurchsichtigen Schleier. Aber eines Nachts würde ich darunter blicken … und hoffen, nicht den Verstand zu verlieren …
Eine neue Schmerzattacke ließ mich aufstöhnen. Meine Beine zuckten. Ich krallte die Hände in die Bettdecke und versuchte so etwas wie ein fröhliches Lächeln zustande zu bringen. Ein vergeblicher Versuch, wie ich Nicolaus’ besorgtem Blick entnahm. »Das Schicksal zwingt dich in die Knie, Caterina«, hatte er noch vor einer Stunde gesagt – wie wahr!
Wortlos ging er zum Nachttisch neben meinem Bett, öffnete die Flasche mit dem Opium und ließ ein paar Tropfen in einen Zinnbecher fallen. Er füllte den Becher mit kaltem Wasser aus einer Karaffe und richtete mich auf, damit ich das Opium schluckweise trinken konnte. Dann klopfte er das Kissen hinter meinem Rücken zurecht, half mir mich hinzulegen und wandte sich abrupt ab. Dieses verräterische Funkeln in seinen Augen – waren das Tränen?
Ein Jahr zuvor hatte ich Nicolaus an der Universität von Rom kennen gelernt, wo er als Professor Mathematik, Astronomie und Astrologie lehrte und gleichzeitig Kanonisches Recht und Medizin studierte. Wie ich interessierte er sich für alles: Theologie, Philosophie, Naturwissenschaften. Wir hatten uns von Anfang an gut verstanden, und so hatte ich ihn eingeladen, mich in meinem Laboratorium im Vatikan zu besuchen. Wir hatten endlos über Gott und die Welt diskutiert, während ich versuchte, das Aurum potabile zum Elixirium zu tingieren, oder wir die Planeten Mars und Venus am Sternenhimmel betrachteten.
Wenige Wochen später war Nicolaus nach Krakau zurückgekehrt, nur um im Herbst nach Padua zu kommen und sein Medizinstudium mit dem Doktorgrad zu beenden. Als er in Padua von meinem Zusammenbruch in der Sixtina hörte, war er sofort nach Rom geeilt, um mich zu besuchen. Und jetzt, im Januar 1502, war er wieder hier. Dieses Mal als mein Medicus, der mir sagen musste, dass ich nicht mehr lange zu leben hatte. Ich sah ihm an, wie sehr ihn das quälte.
Unruhig lief er in meinem Schlafzimmer auf und ab. »Ich halte deine Reise nach Ferrara für Wahnsinn. Kannst du nicht …?«
»Nein, Nicolaus, ich werde morgen abreisen«, sagte ich bestimmt. »Und wenn es das Letzte ist, was ich in diesem Leben tue. Ich bin mit meinen Freunden Baldassare Castiglione und Leonardo da Vinci verabredet. Ich will sie noch einmal sehen, bevor ich sterbe.«
»Es hat geschneit, Caterina«, versuchte er mich zur Vernunft zu bringen. »Die Straßen sind nass und schlammig, beinahe unpassierbar. Die Kälte ist furchtbar. In deinem Zustand ist diese Reise Selbstmord.«
»Du willst es nicht verstehen, nicht wahr?«, fragte ich ihn ungeduldig. Das Opium vernebelte meinen Verstand – wie zuvor der Schmerz. »Ich habe mich entschieden und würde mich freuen, wenn du das akzeptieren könntest, ohne es mir wieder ausreden zu wollen. Du hast mir vorhin selbst bestätigt, was ich seit Wochen vermutet habe: Ich habe nur noch wenige Monate zu leben, und ich will nicht in diesem Bett sterben.
Ich werde nach Ferrara gehen … bitte unterbrich mich nicht! … Ich werde mir an einer der berühmtesten Universitäten Italiens Studenten auswählen, die ich lehren kann. Ich will nicht, dass all meine Forschungen vergeblich waren. Dass ich das Opus Magnum nicht zu Ende führen kann, obwohl ich bereits vor Monaten die Mortificatio vollbracht habe, ist für mich schwer zu akzeptieren, Nicolaus, aber das würde ich nicht ertragen. Ich will mein Wissen weitergeben. Und um es aufzuschreiben, reicht meine Lebenszeit nicht mehr aus.«
»Albertus Magnus hat zwanzig Jahre gebraucht, sein allumfassendes Wissen aufzuschreiben«, wandte er ein. »Du weißt nicht viel weniger als er. Wie willst du in sechs Monaten …«
»Ich werde eben damit anfangen. Was gibt es Schlimmeres, als eine Sache nicht zu Ende zu bringen? Ich verrate es dir: nicht einmal damit
Weitere Kostenlose Bücher