Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
war der Stärkere, und Rodrigo wusste es. Das päpstliche Heer unterstand Cesares Befehl, und Rodrigo konnte den Feldzug niemand anderem anvertrauen, nicht einmal seinem Sohn Jofré, der sich bei der Belagerung der Festungen der Orsini im März und April nicht gerade als umsichtiger Feldherr hervorgetan hatte. Mit anderen Worten: Cesare hatte seinen Vater fest in der Hand und herrschte uneingeschränkt im Vatikan.
Für die Welt waren Vater und Sohn einig und unzertrennlich – aber ich wusste, dass die Materie im Alambic ihrer Beziehung seit Jahren im tiefsten Inneren glühte und dass die Temperatur – der Freiheitsdrang, die Enttäuschung, der unbeherrschte Zorn – nur noch ein wenig erhöht werden musste, um die Separatio zu vollenden. Rodrigo verstand nicht, dass sein Sohn endlich aus seinem Schatten heraustreten, sich von ihm lösen wollte. Und Cesare löste sich nur unter Qualen von seinem Vater.
Als durch Vermittlung von König Louis am 11. April 1503 ein Waffenstillstand zwischen den Borgia und den Orsini unterzeichnet wurde, schlossen auch Cesare und sein Vater endlich Frieden. Giulio Orsini wurde aus der Engelsburg entlassen und kehrte in seine Festung nach Pitigliano zurück. Gian Giordano wurde aus der Ewigen Stadt verbannt und zog sich nach Vicovaro östlich von Rom zurück, während seine Festung Bracciano an die Kirche fiel. Kardinal Rinaldo wurde freigelassen – nach einer längeren Aussprache mit dem Papst nahm er wieder an den Sitzungen des Konsistoriums teil.
Und so endete dieser unsinnige Krieg, der Vater und Sohn entzweit hatte, der Orsini, Medici und Borgia zu Feinden machte. Vor allem aber war ich erleichtert, dass die Verschwörung zur Ermordung des Papstes durch die Freilassung unserer Cousins Giulio und Rinaldo überflüssig geworden war. Das glaubte ich jedenfalls …
Nach dem Waffenstillstand mit den Orsini war Ruhe eingekehrt in den Straßen von Rom. Die Borgia waren auf der Höhe ihrer Macht, niemand wagte es, sie herauszufordern. Sie wurden bewundert, geliebt, verehrt wie Ikonen des Bel vivere, der Lebensfreude, der Großzügigkeit, des eleganten Geschmacks – und sie wurden gefürchtet. Denn anders als viele, die sie in den Straßen Roms mit offenem Mund anstarrten, hatten sie den Mut zu sein, was sie sein wollten.
Die Zeit ist der mächtigste Gegner des Menschen. Sie lässt sich auf keine Verhandlungen und auf keinen Waffenstillstand ein.
Es gelang mir, innerhalb weniger Wochen weitere Phiolen Aurum zu tingieren. Die Dosis, die ich nun zu mir nahm, war gefährlich hoch: nicht nur wegen der Atemnot und des Herzrasens, die mich nachts in Panik versetzten, sondern vor allem, weil ich schlimmste Entzugserscheinungen hatte, wenn ich das ha-Our nicht nahm. Ich hatte mich an die berauschende Wirkung gewöhnt und nahm im Lauf der Monate Dosen zu mir, die jeden anderen Menschen umgebracht hätten.
Die grausame Erkenntnis, dass ich ohne ha-Our nicht mehr leben konnte, dass ich süchtig danach war, dass ich abhängig war und ausgeliefert, entsetzte mich zutiefst. Zwar hatte ich seit Monaten gewusst, dass es unvermeidlich dazu kommen würde, doch das machte meine Ohnmacht für mich nicht erträglicher.
Trotz der furchtbaren Nebenwirkungen des ha-Our war ich noch in der Lage, im Laboratorium zu arbeiten. Aber meine Konzentrationsfähigkeit ließ nach. Ich vergaß vieles, und das Schlimmste daran war, dass ich wusste, dass ich es vergaß. Langsam den Verstand zu verlieren – das ist die letzte Demütigung, die das Schicksal mir noch antun konnte!
Auch Cesare zerrann die Zeit wie Sand zwischen den Fingern. Noch in diesem Sommer wollte er die Toskana erobern. Er wusste, dass Florenz unter dem Schutz von König Louis stand, der sein Heer in der Lombardei zusammenzog, um nach Süden, nach Neapel zu marschieren. Wenn Cesare Florenz angriff, läge sein eigenes Herzogtum Romagna wie reifes Obst auf dem Silberteller. Cesare hatte mir Louis’ Brief gezeigt, in dem der König von Frankreich seinen Herzog warnte, Florenz zu bedrohen. Er habe Mittel, Cesare innerhalb einer Woche alles wegzunehmen, was er ihm in den letzten drei Jahren zu erobern erlaubt hatte. Cesare antwortete, dass sein Heer in Umbrien stehe, nicht in der Toskana – zur Erläuterung fügte er seinem Schreiben eine Karte von Italien bei: eine Unverschämtheit!
Noch während der Bote zu Louis unterwegs war, bereitete Cesare sich vor, mitten im Galopp die Pferde zu wechseln. Er trat in Verhandlungen mit den Spaniern, die auf
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