Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
vergiftet werden, weil ich Rodrigos Vertraute war und Cesares Geliebte, weil ich einflussreich war und gefährlich, weil ich von der Verschwörung wusste, mich aber weigerte, Rodrigo zu ermorden, weil …? Tausend Gründe – doch keiner von ihnen würde Gianni dazu bringen, mich zu verraten …
Aber noch mehr verwirrte mich die Tatsache, dass Rodrigo und Cesare sich erstaunlich schnell von dem Giftattentat erholten. So schnell, dass mir der Verdacht kam, sie sollten gar nicht ermordet werden. Und wieso war Adriano selbst krank geworden und lag mit hohem Fieber im Bett? Er kannte die Cantarella – wir hatten uns oft in meinem Laboratorium unterhalten.
Würden ihm in seiner Panik zwei derart gefährliche Fehler unterlaufen, erst Rodrigo und Cesare mit einer viel zu niedrigen Dosis Cantarella zu vergiften und dann selbst von den vergifteten Speisen zu essen und sie dann seinen Gästen anzubieten? Nein, ganz sicher nicht! Ich hatte Adriano während unserer oft stundenlangen Dispute als besonnenen, umsichtigen, beherrschten Mann kennen gelernt. Er sagte nicht immer, was er dachte, aber er meinte immer, was er sagte – anderenfalls schwieg er mit einem undurchsichtigen Lächeln.
Und wieso waren Gianni und Piero ebenfalls vergiftet, wenn auch nicht so lebensbedrohlich wie Adriano, Rodrigo und Cesare?
Und wieso war Giulio, der nicht krank geworden war, obwohl auch er an der Feier teilgenommen hatte, am nächsten Morgen spurlos aus Rom verschwunden?
Und wieder die Frage: Warum wollte Gianni mich unbedingt zu diesem Bankett schleppen? Mir fiel nur eine Antwort ein: Ich sollte ebenfalls vergiftet werden, um nicht in Verdacht zu geraten, von dieser Verschwörung gewusst zu haben. Aber wenn das Attentat auf Rodrigo und Cesare kein Mordversuch war, was war es dann? Und wer – außer Adriano, der selbst mehr tot als lebendig zu Bett lag – steckte dahinter?
»… ist der Zeitpunkt gekommen, da der Adept die Lehrbücher der Alchemie verbrennen sollte, da er alles vergessen muss, was sein Maestro ihn gelehrt hat, um seinen eigenen Weg zur Erlösung zu finden«, schrieb ich mit kratzender Feder in das Buch. »Die Via dolorosa des Adepten besteht aus sieben Transmutationen. Die Coniunctio, die Vereinigung, ist die letzte Transformation seiner Seele.«
Dann steckte ich die Feder in das Tintenfass und lehnte mich einen Augenblick auf meinem Sessel zurück. Meine Hand schmerzte vom langen Schreiben, die Schultern waren verspannt, weil ich mich so lange über das Buch gebeugt hatte.
Seit einigen Wochen schrieb ich alles nieder, was ich wusste. Ich hatte meine Notizen geordnet, Giovannis Aufzeichnungen, die Schriften von Gerbert d’Aurillac, Albertus Magnus, Basilius Valentinus, Ibn Tufail und all den anderen großen Maestros der Alchemie, und versuchte nun zu retten, was noch zu retten war, bevor der Sturm des Vergessens mein Wissen vernichtete.
Müde rieb ich mir die Augen, dann warf ich einen Blick hinüber zum Athanor, wo die abgeschmolzene Glasphiole im Feuer vor sich hin glühte. Anders als Giovanni, der versucht hatte, das Aurum im offenen Alambic zu tingieren, hatte ich mich entschlossen, die Tinktur in einer hermetischen Phiole zu erhitzen, deren offenes Ende ich im Feuer abgeschmolzen und luftdicht versiegelt hatte. Wenn das Elixier explodierte, flogen zumindest nicht so viele Glassplitter durch das Laboratorium …
Wenn … wenn … Das war wieder eine von meinen Visionen: Wenn ich das Elixirium fand …
In Nicolas Flamels Laboratorium in Paris hatte ich eine Phiole des al-Iksir in der Hand gehalten. Eine unscheinbare klare Flüssigkeit, das Ziel meiner Forschungen, meiner Experimente, der Grund, dass ich noch immer lebte, weil ich die endlose Suche nie aufgegeben hatte. Maître Nicolas hatte mir ein Fläschchen angeboten, aber ich hatte es ihm zurückgegeben. Denn damals hatte ich nicht l’immortalité gesucht, sondern einen Grund, glücklich sein zu dürfen, indem ich das Elixier selbst fand, und damit la gloire immortelle, und nicht, indem ich es mir von Nicolas Flamel schenken ließ. Wie viel Lebenszeit hatte ich in Paris noch gehabt – eine halbe Ewigkeit! Und nun? Ein paar Tage, wenn ich Glück hatte!
»Ihr werdet es schaffen«, hatte mir Maître Nicolas versprochen. Lorenzo war kurz vor seinem Tod ebenso zuversichtlich gewesen: »Das Wort ›Scheitern‹ hat seit Cosimo kein Medici mehr benutzt. Selbstverständlich wirst du eines Tages das Elixirium vitae finden. Aber nicht morgen oder übermorgen oder
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