Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
ihn Johannes Burkhard. Es war ein Kardinal, der seit Monaten vermisst wurde. Im Vatikan erzählte man sich das Gerücht, er sei vor Papst Innozenz geflohen, aber offensichtlich kam er nicht einmal bis zur Porta Flaminia …«
Die nächste Frage fiel mir schwer. Gian Giordanos Antwort würde mir nicht gefallen, kein bisschen! »Und … wo ist Giulio?«
»Er ist nicht in Rom, Caterina. Und er war auch nie in Rom.«
Mein erster Gedanke war: Hat Fra Girolamo mich angelogen? War Giulios angebliche Reise zu Erzbischof Orsini nach Rom nur eine Täuschung? Hielt der Prior Giulio im Kloster von San Marco versteckt, um ihn vor Lorenzos Zorn zu beschützen? Der Frater hatte mir erzählt, wie er selbst unter den Vorwürfen seines Vaters gelitten hatte, als er in den Orden der Dominikaner eintrat. Wollte er seinem »Sohn« Giulio die Seelenqual der Zweifel ersparen?
Der Prior von San Marco hasste Lorenzo de’ Medici. Konnte Savonarola Lorenzo eine größere Niederlage beibringen, als ihm seinen Neffen Giulio, der Piero künftig bei seiner Herrschaft über Florenz unterstützen sollte, zu entreißen, um ihn zu einem Dominikaner zu machen?
Beim Frühstück mit Lorenzo und Gian Giordano war ich so mit meinen Gedanken beschäftigt, dass ich nicht auf ihre Unterhaltung achtete. Sie warfen mir besorgte Blicke zu, weil ich nachdenklich auf meinem Teller herumstocherte, ohne etwas zu essen.
Nein, Giulio war nicht in San Marco! Er hatte nicht davon gesprochen, ins Kloster zu gehen. Er wollte Priester werden! Und wenn Fra Girolamo nun nicht gelogen hatte? Wenn Giulio wirklich an diesem Morgen von San Marco aufgebrochen war: Wohin war er geritten, wenn nicht nach Rom?
Hatte Giulio geahnt, dass Lorenzo ihn vor den Toren des Vatikans aufhalten würde? Hatte er Fra Girolamo gebeten, Lorenzo in dem Glauben zu lassen, er wäre nach Rom aufgebrochen? Ich dachte diesen Gedanken zu Ende: Giulio hatte nie die Absicht gehabt, nach Rom zu reiten, um Rinaldo aufzusuchen, denn der hätte erst Lorenzo um sein Placet gebeten. Nein, Giulio war nicht im Vatikan. Ich ahnte, wohin mein Bruder gegangen war.
Es fiel mir schwer, ein triumphierendes Lächeln zu unterdrücken.
Nein, ich wusste, wo ich Giulio finden konnte. Denn er hatte es mir selbst gesagt …
» Was willst du?«, fragte Lorenzo verblüfft, als ich die Tür seines Studierzimmers hinter mir schloss und mich dagegen lehnte.
Er ließ sich auf die Sitzbank vor seinem Lesepult sinken, als hätte er nicht mehr genug Kraft, es bis hinter seinen Schreibtisch zu schaffen. Seit der Nachricht, dass Gian Giordano meinen Bruder nicht gefunden hatte, war er sehr blass. Und zittrig.
»Ich will mich von Amerigo verabschieden«, wiederholte ich.
»Aber er war doch erst gestern Abend hier!«, protestierte er.
»Ich habe noch Paolo Toscanellis Imago Mundi. Es gehört Amerigo. Er will es sicher zurückhaben.« Ich zeigte Lorenzo das Manuskript, das ich aus meinem Zimmer geholt hatte, während er nach dem Frühstück in sein Studierzimmer zurückkehrte.
»Amerigos Schiff sticht heute Mittag in See«, erinnerte er mich, während er in dem Werk seines alten Lehrers blätterte.
»Der Ritt nach Pisa dauert höchstens vier Stunden. Ich kann es schaffen, wenn ich sofort aufbreche«, versicherte ich.
Das Argument »Das alles wegen eines Buches?« kam Lorenzo nicht in den Sinn: Dieses Manuskript war das einzige Exemplar von Paolo Toscanellis handschriftlichen Notizen. Und das Argument »Giovanni Sforzas Heiratsantrag!« schien er selbst nicht so ernst zu nehmen, um mir die Reise auszureden. Offenbar bereitete es Lorenzo sogar Freude, den Conte durch meine unerwartete Abreise hinzuhalten und die unvermeidliche Antwort auf den Antrag bis zu meiner Rückkehr hinauszuschieben.
»… wenn ihr sofort aufbrecht«, korrigierte er mich. »Du wirst nicht allein nach Pisa reiten, Caterina. Nein, widersprich mir nicht! Ich werde dir ein paar Bewaffnete mitgeben, die auf dich aufpassen. Sie werden dich zum Hafen begleiten und dann zum Palazzo Medici bringen, wo du übernachten kannst. Gianni wohnt dort während seines Studiums. Da er erst während der Weihnachtsfeiertage nach Florenz zurückkommen wird, ist das für dich eine gute Gelegenheit, deinen Cousin kennen zu lernen.«
»Ich freue mich schon darauf«, sagte ich. Vor allem war ich neugierig auf Giannis Gesicht, wenn ich ihm die eine Frage stellte, deren Antwort ich schon kannte …
»Du könntest ein paar Tage bei Gianni in Pisa bleiben und in Ruhe über
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