Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
alles nachdenken. Der Conte von Pesaro wird nicht abreisen, ohne die erwartete Antwort erhalten zu haben.«
»Für die Formulierung meiner Antwort an Giovanni Sforza brauche ich nicht einmal einen Tag. Sie lautet: Nein!«
Lorenzo sah mich nachdenklich an. »In diesem Fall werde ich ein paar Tage benötigen, um dem Conte unsere Entscheidung mitzuteilen. Genieße deinen Aufenthalt in Pisa.«
»Das werde ich.«
»Und grüße Gianni von mir.« Lorenzo reichte mir eine gedruckte Ausgabe von Thomas von Aquinos Summa Theologica, die auf dem Bücherstapel auf seinem Lesepult gelegen hatte. »Gib ihm dieses Buch. Er bat mich in seinem letzten Brief vor ein paar Tagen, es ihm zu senden.«
Ich schlug den Folianten auf und blätterte durch die Seiten, deren schmale Ränder mit zierlichen Marginalien versehen waren, so fein, dass man ein Augenglas benötigte, um sie lesen zu können. Das Buch enthielt mehr Kommentare als gedruckten Text! Eine wirklich wertvolle Ausgabe für den, der die Anmerkungen verfasst hatte – und unentbehrlich für einen Studiosus der Theologie. Ich schlug das Titelblatt auf und fand den Namen des Kommentators in feinen, wie gedruckt wirkenden Lettern: Giulio de’ Medici.
Meine Mundwinkel zuckten, und nur mühsam unterdrückte ich ein Grinsen. Giulio, du verdammter …!
»Ich werde Gianni dieses Buch geben«, versprach ich Lorenzo.
Eine halbe Stunde später war ich auf dem Weg nach Pisa.
Ich ritt, als wären die vier apokalyptischen Reiter hinter mir her. Und ich vergewisserte mich immer wieder, dass die beiden Bücher immer noch in meiner Satteltasche steckten. Ich ritt so schnell, dass mir meine Begleiter mit ihren schweren Brustharnischen und Helmen, den Armbrüsten und Schwertern kaum folgen konnten.
Als wir den Hof des Palazzo Medici verließen, waren meine Reisetruhen gerade auf einen Wagen verladen worden, der uns langsamer über die Straße nach Pisa folgen sollte – meine Leibwachen und ich nahmen den schnellsten Weg. Wir galoppierten durch Olivenhaine in den toskanischen Hügeln, überquerten Felder und ritten einen schmalen Pfad am Arno entlang. Ohne Rast ritten wir bis Pisa.
Die Sonne überschritt ihren Zenit, als wir die Porta Fiorentina erreichten. Vor dem östlichen Stadttor herrschte ein solches Gedränge, dass wir kaum die Stadt betreten konnten – es war Viehmarkt. Die toskanischen Bauern hatten ihre Kühe, Schweine, Lämmer und Tauben nach Pisa gebracht, um sie hier zu verkaufen. Ein Pfau stolzierte über die Straße, ein Händler stürzte ihm laut fluchend hinterher und versuchte ihn einzufangen. Die Luft war erfüllt vom Blöken der Lämmer, vom Geschnatter der Hühner und vom Feilschen der Bauern. Da am Stadttor Zoll erhoben wurde, bauten die Händler ihre Pferche und Käfige, ihre Obstkisten und Gemüsestände außerhalb der Stadtmauer auf.
Ich ließ einen meiner Begleiter zurück, der die Zollformalitäten erledigen und meine Ankunft im Palazzo Medici ankündigen sollte. An der Fortezza vorbei ritten wir in die Stadt.
Pisa, die einstmals große Seerepublik, auf die Venedig mit Neid geblickt hatte, die Beherrscherin des Tyrrhenischen Meeres, gehörte seit 1405 zur Republik Florenz. Während jedoch in der Metropolis Florenz die zerfallenen Mauerreste vergangener Jahrhunderte der Idee des Rinascimento – der Wiedergeburt der Antike – weichen mussten, während breite Straßen und großartige Palazzi errichtet wurden, war in Pisa die Zeit stehen geblieben. Irgendwann vor hundert Jahren.
Die windschiefen Häuser sahen aus, als könnten sie jeden Moment über uns einstürzen. In den engen und ungepflasterten Gassen wurden wir von Eselskarren und spielenden Kindern aufgehalten und kamen nur langsam voran. Also entschied ich mich für den längeren Weg auf dem befestigten Arno-Ufer, aber hier war das Gedränge der Menschen noch größer.
Pisa schien sich auf ein Fest vorzubereiten. Die größte Brücke der Stadt war mit Girlanden und den Flaggen der Stadtviertel geschmückt, Tribünen waren am Fluss errichtet worden, um den Zuschauern einen Blick auf die Arnobrücke zu ermöglichen. Die Pisanerinnen trugen ihre aufwändigsten Kleider, den auffälligsten Schmuck und schienen sich im Übrigen darin überbieten zu wollen, wer von ihnen den am schlechtest gekleideten Gemahl hatte. Verblüfft stellte ich fest, dass die Männer in hautengen Hosen, Stiefeln und offenen Hemden herumliefen. Einige hatten sogar die Ärmel ihrer Leinenhemden hochgekrempelt, als wollten sie zur
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