Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
meinst …«
»Der schiefe Campanile ist ein Symbol für die Ecclesia Dei. Auch sie wird eines Tages einstürzen. Sie steht auf einem weicheren Fundament als dieser Turm.«
»Du meinst eine Basis wie Petrus: der Fels, auf dem Christus seine Kirche errichten wollte?«
»Petrus war ein Versager. Wie die meisten seiner Nachfolger, die von Machtpolitik nicht die leiseste Ahnung hatten, hat er sich von weltlichen Herrschern abhängig gemacht, hat seine Macht an den Meistbietenden verkauft. Zum ersten Mal, als er Jesus verleugnete, um sein Leben zu retten. Zum letzten Mal, als er sich in Rom als Märtyrer ans Kreuz nageln ließ und sich opferte, anstatt Nero erbitterten Widerstand zu leisten. Welch ein sinnloser Tod!
Im Kampf gegen die Kaiser haben die Päpste jahrhundertelang Kirchenbesitz – Städte und Lehen des Patrimonium Petri – an Herzöge verschenkt, um sie zu ihren Gefolgsleuten zu machen. Damit legten sie den Grundstein für die Macht der Sforza in Mailand, der d’Este in Ferrara und der Montefeltro, die es in wenigen Jahren geschafft haben, von Feldherren der Kirche zu Herzögen von Urbino aufzusteigen. Die Kaiser spielten das Spiel nur zu gern mit. Auch sie verschenkten Kirchenbesitz an ihre Gefolgsleute.
Die Herrschaft über den Kirchenstaat, der im Süden bis zum Königreich Neapel reicht und im Norden Umbrien, die Marken, die Emilia und die Romagna umfasst, macht den Papst zu einem der mächtigsten Fürsten Italiens – theoretisch! Die Montefeltro tragen den Titel eines päpstlichen Vikars – Federico da Montefeltro war Condottiere der Kirche, sein Sohn Guido, der jetzige Herzog von Urbino, strebt nach dem Titel des Bannerträgers, des Oberbefehlshabers der päpstlichen Heere. Er regiert sein Reich souverän, hält sich für unabhängig und würde den Heiligen Vater zum Teufel jagen, falls er es wagte, ihm in seine Angelegenheiten hineinzureden. Wenn die Kirche sich auf der Basis der Herrschaft der d’Este, Gonzaga, Sforza und Montefeltro weiter neigt, wird dieses Fundament zerbersten, und die Sancta Ecclesia wird einstürzen.«
Ich betrachtete den schiefen Campanile, der stabil erschien, obwohl er auf Treibsand stand. »Und die Priester, die Bischöfe, Kardinäle … der Papst. Sie bilden zusammen mit den Gläubigen die Ecclesia Dei. Wenn sie, wie am Anfang die Apostel, den Turm stützen …«
»Nicht mit Patres wie Girolamo Savonarola als Apostel, Caterina! Er zerschlägt mit seinen Worten die Säulen, die das einsturzgefährdete Gebäude zusammenhalten. Er wettert gegen alles und jeden: gegen den Besitz, ohne den die Kirche sich als weltliches Unternehmen nicht finanzieren kann, gegen die menschliche Fehlbarkeit der Priester, selbst gegen den Papst.«
Durch ein kleines Tor betraten wir das Innere des Campanile und begannen mit dem Aufstieg. Die Stufen führten steil hinauf, wurden nach ein paar Schritten flacher, um dann unmerklich abwärts zu führen. Wenige Schritte weiter wurde die schmale Treppe wieder steiler. Die Neigung des Turms verursachte die in sich schwingende, schlingernde Bewegung der Stufen.
Schweigend folgte ich Cesare die Treppe hinauf.
Auf der Turmspitze, zwischen den sieben gigantischen Glocken, bot sich uns ein fantastischer Ausblick über Pisa. Unter uns lagen die Kathedrale und die Piazza dei Miracoli, weiter südlich der schöne Palazzo della Carovana an der Piazza dei Cavalieri, die Universität und die drei Arnobrücken. Von hier oben wirkte alles, auch die Menschen, die nach der Sonntagsmesse aus der Kathedrale strömten, wie … wie Spielzeug!
Mit weit ausgebreiteten Armen stand ich dort oben und atmete tief die nach Meer … nach Freiheit duftende Luft ein.
»Wer, außer Gott, kann diesen Schiefen Turm wieder aufrichten?«, fragte ich nach einer Weile.
»Ich«, sagte er. »Ich werde es tun, indem ich das Fundament stärke. Ich werde die d’Este, die Sforza, die Montefeltro an ihre Pflichten erinnern – wenn nötig mit Feuer und Schwert! Wenn die Kirche auf sicherem Boden steht, werde ich mich um die geborstenen Säulen kümmern, die den Thron meines Vaters tragen. Allen voran Kardinal Giuliano della Rovere, der sich mit dem Herzog von Urbino verschwägert hat, dem mächtigsten Lehnsfürsten der Kirche.«
»Der Thron deines Vaters? Du meinst: den Thron Gottes …«
»Nein, Caterina: meines Vaters Thron. Es steht ohne jeden Zweifel fest, dass mein Vater, Kardinal Rodrigo Borgia, der nächste Papst sein wird. Und ich Kardinalerzbischof von
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