Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
nimmer!
Was sollte ich bloß tun? Was konnte ich denn sinnvollerweise tun?
Mit schmerzhaft steifen Gliedern erhob ich mich von meinem Stuhl und ließ mich erschöpft auf mein Bett fallen. Ich wickelte mich in meine Decke und wollte nur noch schlafen, aufgeben, mich fallen lassen …
Schon im Schlaf versunken dachte ich: Es ist egal, im wahrsten Sinn des Wortes »… gleichgültig !« Überrascht von dieser einfachen Erkenntnis setzte ich mich im Bett auf. Ich ahnte, nein: ich wusste, welche Frage Giovanni mir in wenigen Stunden stellen wollte. Auf diese Frage gab es nur eine Antwort, nicht neunhundert verschiedene. Sokrates hatte sie gewusst …
Mit einem Lächeln auf den Lippen ließ ich mich in die weichen Kissen sinken und war sofort eingeschlafen.
Still und dunkel, wie verlassen, lag Giovannis Villa in den Hügeln oberhalb von Fiesole.
Die Läden waren nicht geschlossen, und in den Fenstern spiegelte sich das helle Mondlicht. Aber nirgendwo in der Villa war auch nur ein Schimmer Kerzenlicht zu erkennen. Oder ein Geräusch zu hören. Keine Fackel brannte neben dem Portal. Kein Diener empfing mich, als ich vor der Treppe, die zum Portal hinaufführte, vom Pferd sprang.
Die Einzigen, die pünktlich am vereinbarten Ort erschienen, waren der Mond und ich.
Wo war Giovanni?
Hatte er es sich anders überlegt? Nein, sicher nicht. Er hatte doch gesehen, wie gebrechlich Lorenzo an diesem Morgen nach dem Zusammenbruch gewesen war – wie gelähmt sein Körper und sein Geist waren. Lorenzo hatte zwei Wochen lang über seine Kräfte gelebt, hatte sich verschlissen, als hätte er Jahre seines Lebens nachzuholen und doch nur noch ein paar Tage zu leben. Giovanni hatte seinen kranken Freund doch selbst ins Bett gebracht und ihm traurig die Flasche mit dem Opium in die Hand gedrückt. Dann war er in seine Villa vor den Toren der Stadt aufgebrochen, um mit dem Opus zu beginnen. »Wir sehen uns heute Nacht«, hatte er mir beim Abschied im Hof versprochen.
Wenn Giovanni mir nicht entgegeneilte, dann gehörte das zum Examen. Er wollte sehen, ob ich zweifelte, ob ich Angst hatte, ob ich aufgab und zurück nach Florenz ritt. Nein, das werde ich sicher nicht tun!, schwor ich mir selbst: Ich würde nicht den ganzen Weg von Fiesole nach Florenz zurückreiten, eine halbe Stunde durch die Dunkelheit irren und noch einmal mit den Wachen an der Porta San Gallo herumstreiten.
Ich trat an das Portal und wollte schon den Türklopfer betätigen, doch dann zögerte ich. Wenn mir kein Diener vom Pferd half, würde mir vermutlich auch keiner öffnen. Mit beiden Händen drückte ich vorsichtig gegen das Tor, und tatsächlich, es schwang fast lautlos auf. War da nicht ein Geräusch gewesen? Ich blieb stehen und lauschte.
Irgendetwas zischte und fauchte wie eine aufgebrachte Katze. Ich trat einen Schritt zur Seite, aber kein schwarzer Kater huschte an mir vorbei in die Nacht. Hatte ich durch das Öffnen des Portals einen geheimen Mechanismus ausgelöst? Schließlich trat ich ein und schloss die Tür hinter mir.
In diesem Augenblick geschah es.
Eine Kerze entzündete sich direkt vor meinen Füßen. Sie stand in einer Lache aus getrocknetem Wachs auf dem Boden. Ein Wunder, dass ich sie beim Eintreten nicht umgestoßen hatte! Die Kerze brannte für die Dauer eines Atemzuges, dann entzündete sich eine feine Lunte, die am brennenden Docht festgebunden war. Ein kleiner, aber sehr heller Funke wanderte fauchend und zischend zu einer zweiten Kerze, die einen Schritt entfernt in der Loggia stand. Ein leiser Geruch von Schwefel stieg mir in die Nase. Als die zweite Kerze brannte, wanderte der Funke weiter und entzündete ein drittes, ein viertes, ein fünftes Licht.
Der Weg der Erleuchtung!, dachte ich vergnügt, als ich vor mir die endlose Reihe der Kerzen sah, die wie eine Lichterkette durch Giovannis Villa führte. Ich soll also meinen Weg durch die Finsternis finden, indem ich dem Lichtfunken folge!
Wegen der langsam brennenden Lunten zwischen den Kerzendochten kam ich nicht besonders schnell voran. Und so hatte ich Zeit, mich umzusehen und nachzudenken. Ich fühlte mich beobachtet. Giovanni versteckte sich vermutlich hinter einem der schweren Brokatvorhänge oder hinter einer der nur angelehnten Türen und amüsierte sich, wie ich Schritt für Schritt dem Pfad der Erleuchtung folgte. Erwartete er vielleicht, dass ich vom Weg abwich, um ihn zu suchen? Aber wo sollte ich ihn finden? Ich kannte mich in seiner Villa nicht aus, würde durch
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