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Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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zwanzig oder dreißig Räume irren und mich lächerlich machen. Nein, ich würde dem Licht folgen!
    Und das war eine gute Entscheidung. Wenn ich einen anderen Weg gewählt hätte, wäre mir etwas entgangen. Giovanni hatte sich wirklich Mühe gegeben.
    Meine Initiationsreise führte mich durch die meisten Räume der Villa und durch die dreiunddreißig Stufen der Weisheit. Ich erkannte die Symbole, die zwischen den Kerzen angeordnet waren: die zwei Masken, das Zeichen für die Erkenntnis der Zweiheit; den Drachen und den Phoenix, der sich aus der Asche des ewigen Feuers erhebt; die Taube, das Wahrzeichen der Reinheit; die Schlange, Sinnbild der handelnden Intelligenz; und schließlich: den Engel, den Menschen mit göttlichen Zügen. Zum Glück hatte ich an diesem Mittag das Buch von Guillaume d’Auvergne, dem Erbauer der Kathedrale von Paris, in der Bibliothek gefunden … und es war wirklich seltsam, dass es in meinem Lesepult lag, als hätte es jemand absichtlich dort hingelegt, damit ich es fand …
    Während ich an dem kleinen Engel aus bemaltem Pappmaché vorbeiging, dachte ich an Giovannis Worte: »Es steht dem Menschen frei, sich durch seinen eigenen Willen in die Welt des Göttlichen zu erheben«. Eigentlich hätte der Initiationsweg hier enden sollen, aber die Lichterkette führte weiter in den nächsten Raum und endete in einem großen Kreis, der in sich selbst geschlossen war. Was bedeutete das?
    Der Kreis war das Symbol für die ewige Wiederkehr. Aber auch dafür, dass es keinen Fortschritt mehr geben konnte.
    Giovannis Laboratorium war von den Kerzen am Boden hell erleuchtet. In der Mitte des Raumes erhob sich ein gemauerter Kamin, der als Athanor, als Alchemistenfeuer, diente. Direkt über der Feuerstelle schwebte ein Alambic. Ich kannte die unverwechselbare Form dieses Glaskolbens von den Zeichnungen aus Trevisanus’ Notizbuch. Schimmernde Glasröhren führten vom Alambic zu anderen Gefäßen, die sternförmig – wie ein magisches Pentagramm – um ihn herum angeordnet und untereinander verbunden waren. Alle Glaskolben waren leer, bis auf den Alambic. An seinem gläsernen Boden schimmerte eine transparente Flüssigkeit im Licht der Kerzen.
    Der Athanor war noch nicht entzündet! Der Weg der Erkenntnis endete in diesem Laboratorium, führte auf sich selbst zurück, statt das Feuer im Athanor zu entfachen, damit das Experiment beginnen konnte. Und vor allem: Der Alchemist selbst fehlte – Giovanni war nicht da.
    Erwartete er, dass ich eine Kerze nahm und eigenmächtig das Feuer im Athanor entzündete? Nein, das durfte ich nicht tun! Ich musste Giovanni suchen, wo auch immer er sich versteckt hielt. Wahrscheinlich beobachtete er mich, wie ich verwirrt in seinem Laboratorium stand und den Athanor anstarrte.
    Ich war dem Weg des Lichts durch fast alle Räume dieser Villa gefolgt. Nur in einem Raum war ich nicht gewesen. Und wie ich Giovanni in den letzten Tagen kennen gelernt hatte, lag dieser Raum im Augenblick in tiefster Dunkelheit! Also machte ich mich auf den Weg zur Terra incognita, dem unerforschten Land, das jenseits des Lichts, jenseits des Offensichtlichen, liegt. Welch eine Symbolik!
    Ich tastete mich durch dunkle Gänge, stieß in der Finsternis an Sessel und Truhen, blieb an irgendetwas hängen und hätte mir beinahe das Samtkleid zerrissen. Aber schließlich fand ich Giovanni.
    Er erwartete mich in der Bibliothek. Es war so finster in dem Raum, dass ich seine Silhouette und die der anderen mehr erahnte als erkannte. Er war nicht allein! Mit ihm saßen drei Männer an einem großen Tisch – wie ein Inquisitionstribunal. Alle Anwesenden schienen schwarze Talare und Masken zu tragen, mehr konnte ich trotz des silbrigen Mondlichts in der Finsternis nicht erkennen.
    Wer waren die anderen? Wer auch immer Giovannis Freunde waren: Sie wollten mir Angst machen. Sie wollten sehen, ob ich die Beherrschung verlor und aus der Villa floh.
    Durfte ich ängstlich sein, wenn ich die Wahrheit suchte? Nein!
    »Ich bin gekommen«, sagte ich, als ich mitten im Raum stand. Ich war selbst erstaunt, wie selbstbewusst meine Stimme klang.
    »Wozu?«, flüsterte einer der Männer von der anderen Tischseite. Er wollte offensichtlich nicht an der Stimme erkannt werden.
    Die Frage irritierte mich. Giovanni wusste doch, wozu ich hier war. Ich holte tief Luft: »Um die Wahrheit zu finden.«
    Das hätte ich nicht sagen sollen! Denn auf die nächste Frage war ich nicht vorbereitet. An ihr hätten sich auch Sokrates und

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