Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
wünscht.«
Giulio nickte bleich. Es war das erste Mal, dass Lorenzo mit ihm sprach, seit er an Weihnachten nach Hause zurückgekehrt war.
Verzweifelt dachte ich an Lorenzos »Flucht« vor Fra Girolamo am Weihnachtsabend. Giulio hatte mir erzählt, dass der Prior die Messe am nächsten Morgen im verschneiten Garten von San Marco zelebrieren musste, weil die kleine Kirche die Gläubigen nicht fassen konnte. Wie würden die Florentiner Lorenzos Rückzug nach Careggi kommentieren?
»Gianni und Giulio werden aus Sicherheitsgründen nicht nach Pisa zurückkehren«, fuhr Lorenzo fort. »Ihr werdet mit mir die nächsten Tage in der Villa in Careggi verbringen. Sobald du, Gianni, endlich offiziell zum Kardinal ernannt wurdest, wirst du nach Rom abreisen und dich auf das Konklave vorbereiten.«
»Ja, Vater«, nickte Gianni.
»Giulio wird dich begleiten«, befahl Lorenzo.
»Ich darf nach Rom …?«, fragte mein Bruder mit großen Augen.
»Du wirst in Rom dein in Pisa begonnenes Studium fortsetzen, Giulio! Ich werde veranlassen, dass in den nächsten Wochen einige Professoren der Sapienza nach Rom zurückkehren, sodass du deinen Wünschen entsprechend Theologie und Kirchenrecht studieren kannst. Ich bitte dich jedoch, auch der juristischen Fakultät hin und wieder einen Besuch abzustatten und deine Nase in ein rechtsgelehrtes Buch zu stecken. Du sollst Piero hier in Florenz unterstützen, sobald er die Regentschaft übernimmt und Gianni aus dem Konklave gekommen ist.
Giulio, du bist Prior in Capua und Ritter des Johanniterordens. Das sind einflussreiche Positionen, und ich will, dass du sie entsprechend nutzt: nicht im Sinne von Kardinal Borgia, der dir diese Ämter und die damit verbundenen Einkünfte verschafft hat, sondern für das Überleben der Familie Medici.«
Entsetzt sah ich die anderen an. Sie starrten Lorenzo bleich und mit zusammengepressten Lippen an und erwarteten seine Entscheidungen. Aber hatte denn keiner von ihnen bemerkt, was ihr Vater, ihr Onkel, ihr Freund gerade gesagt hatte?
»Caterina!«, wandte sich Lorenzo an mich. »Du wirst mit Giovanni ebenfalls nach Careggi umziehen. Die Villa in Fiesole ist nicht sicher, wenn es zu Unruhen kommt.«
»Das ist unmöglich«, widersprach ich energisch. »Wir dürfen das Opus jetzt nicht unterbrechen! Und wir können nicht das gesamte Laboratorium in Kisten verpacken und nach Careggi …«
Hilfe suchend sah ich mich nach Giovanni um, aber der schwieg mit gesenktem Blick. Er konnte seinem Freund nicht in die Augen sehen, als der sein eigenes Todesurteil verkündete.
»Caterina, ich weiß, dass ich bald sterben werde«, sagte Lorenzo leise. Piero wollte etwas sagen, doch sein Vater unterbrach ihn, indem er die Hand hob. »Die erste Phiole Aurum potabile hat mir zwölf Tage meines Lebens geschenkt. Es waren zwölf herrliche Tage ohne Schmerzen. Es war eine wunderschöne Illusion! Doch die Zeit zerrinnt mir zwischen den Fingern. Wie mein Leben. Im Augenblick nehme ich an jedem Tag, den Gott mir noch gewährt, eine Phiole voll Aurum potabile zu mir. Du beherrschst die Arithmetik und kannst dir ausrechnen, wie lange ich noch zu leben habe.«
»Wir werden neues Aurum herstellen! In Careggi werden wir …«
»Es ist sinnlos, Caterina«, unterbrach er mich mit stoischer Ruhe. »Ich weiß, dass ich in wenigen Wochen sterben werde. Du kannst meinen Tod lediglich um ein paar Tage aufhalten.«
»Woher weißt du …?«, flüsterte ich bestürzt.
»Ich kann lesen. In der Laurenziana gibt es hervorragende alchemistische Werke. Ein sehr lesenswertes Buch hat Gerbert d’Aurillac geschrieben.«
»Du hast es die ganze Zeit gewusst?«, flüsterte Giovanni bleich.
»Ja, Giovanni! Ich weiß seit jenem Tag, als du mir die erste Phiole gegeben hast, dass ich sterben werde.«
»Es tut mir Leid …«, begann Giovanni.
»Was tut dir Leid, mein Freund?«, fragte Lorenzo sanft. »Dass du mir das wundervolle Geschenk von ein paar unbeschwerten Tagen ohne Schmerzen gemacht hast? Dass du mir Lebensfreude und Sinnlichkeit geschenkt hast? Oder dass du vergessen hast, das Buch von Gerbert d’Aurillac mit nach Fiesole zu nehmen, um mir lebenswichtige Informationen vorzuenthalten?«
Giovanni senkte betroffen den Blick, und Lorenzo fuhr, lässig an seinen Schreibtisch gelehnt, fort: »Ich bin wie Seneca der Meinung, dass der schönste Tod der ist, dem man ins Auge blicken kann. Er hatte seine Freunde zu einer philosophischen Disputation in seine Villa eingeladen, als ihm Neros
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