Die Kardinälin: Historischer Roman (German Edition)
Todesurteil überbracht wurde. Der Kaiser hatte ihm großzügig gestattet, die Todesart selbst zu wählen. Seneca bat seine Freunde, das Andenken an sein Leben und Sterben zu bewahren, und er ermahnte diejenigen, die weinten, die Lehren der Stoiker nicht ausgerechnet in der Stunde zu vergessen, in der Haltung bewahrt werden sollte.
Es ist mein Wunsch, so würdevoll wie Seneca zu sterben. Ich werde meine Angelegenheiten hier im Palazzo ordnen, Piero, Gianni und Giulio in die Regierungsgeschäfte der Republik Florenz einführen und dann schweigend zusehen, wie ihr alle das Werk fortsetzt, das mein Großvater, mein Vater und ich begonnen haben. Ich will, dass ihr zusammenhaltet. Ihr seid eine Familie! Nur so seid ihr Medici stark genug, meinen Tod zu überleben.
Und ich habe noch einen Wunsch. Ich will keinen von euch weinen sehen! Weder jetzt noch an meinem Totenbett.«
Unser Exodus musste unauffällig erfolgen, so unbemerkt wie Moses’ Flucht aus Ägypten. Lorenzo und Piero verließen noch am selben Abend mit einigen Freunden Florenz und ritten im Galopp bis nach Careggi. Gianni und Giulio folgten ihnen am nächsten Tag ohne Eile mit einer Karawane von schwer beladenen Maultieren, um den Eindruck zu erwecken, sie würden mit ihrem Gepäck nach Pisa zurückkehren. In den Truhen befanden sich Dokumente aus dem Geheimarchiv des Palazzo, das Lorenzos Sekretär Filippo verwaltete, Verträge mit Mailand und Venedig, die Korrespondenz des Regenten mit Dogen, Herzögen und Päpsten, die Bilanzen der Banca Medici und Stapel von Büchern.
Während Gianni und Giulio nach Careggi unterwegs waren, verpackten Giovanni und ich den Alambic, die unzähligen Glaskolben, Solviergefäße und Mörser seines Laboratoriums in strohgefüllte Holzkisten, die zusammen mit fast hundert Folianten seiner Bibliothek während einer dunklen Neumondnacht heimlich nach Careggi geschafft wurden.
Wir packten noch die letzten Bücher in die Truhen, als kurz vor Mitternacht ein Bote aus Florenz in der Villa Pico eintraf. Der Majordomus informierte mich sofort, weil der Reiter angab, eine dringende Nachricht für mich zu haben, die keinen Aufschub duldete. Zuerst befürchtete ich, dass Fra Girolamo mir ins Gewissen reden und Lorenzo warnen wollte, weil er von der überstürzten Flucht des Magnifico erfahren hatte. Aber diesen Gedanken verwarf ich schon auf dem Weg in Giovannis Empfangsraum, wo der Bote auf mich wartete.
Als ich die Tür hinter mir schloss, erschrak ich: Er begrüßte mich auf Spanisch! Ein Brief von Cesare? War Innozenz gestorben? Ich entriss dem Boten das gefaltete Pergament und starrte auf das Siegel, das mir so vertraut war. Nein, es war nicht das Wappen der Borgia! Der Brief kam von Amerigo aus Sevilla.
Während der Majordomus den Spanier in die Küche führte, damit ihm dort eine warme Mahlzeit und ein Krug Wein serviert wurden, ließ ich mich in den Sessel hinter Giovannis Schreibtisch fallen, zerbrach mit zitternden Fingern Amerigos Siegel.
»Liebste Caterina«, las ich seine schwungvolle Handschrift. »Heute traf hier in Sevilla die frohe Botschaft ein, dass Seine Majestät, König Fernando von Aragón, am ersten Tag dieses Jahres das Emirat Granada erobert hat. Er ist am 2. Januar 1492 mit Königin Isabel in die Alhambra eingezogen. Die Reconquista ist nach achthundert Jahren maurischer Herrschaft in Spanien endlich beendet! Das christliche Banner weht über Granada. Was immer du von diesem furchtbaren Krieg in Al-Andalus hörst, mach dir keine Sorgen. Mir geht es gut! Umso mehr, als es nach der Eroberung der sagenhaften Reichtümer des Emirates Granada für König Fernando keinen Grund mehr gibt, die Ausstattung von Cristoforo Colombos Schiffen durch mein Handelskontor weiter hinauszuzögern. Es wird Zeit, dass Cristoforo endlich in See sticht, bevor es Sultan Bajazet einfällt, Frieden mit Papst und Kaiser zu schließen, und bevor König Fernando auf die Idee kommt, dass der Seeweg nach Westen gefährlicher und teurer sein könnte als der Landweg nach Osten. Dann würden die Santa Maria, die Niña und die Pinta, die seit Wochen im Hafen von Palos vor Anker liegen, niemals auf dem Atlantischen Ozean segeln …«
Erleichtert ließ ich das Schreiben sinken. Amerigo war in Sevilla angekommen und hatte sich sofort in seine Arbeit gestürzt. Der Krieg in Spanien war vorbei.
Ich fragte mich, ob Cesare sich gegen seinen jüngeren Bruder Juan durchgesetzt hatte und ob er als designierter Herzog von Gandía schon auf dem Weg
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