Die Kartause von Parma
klingelte.
»Rufen Sie die gesamte Dienerschaft in den großen Saal zusammen,« befahl sie ihrem Kammerdiener, »auch das Küchenpersonal! Dann gehen Sie in die Kommandantur und holen einen vorschriftsmäßigen Erlaubnisschein zur Bestellung von vier Postpferden. Diese vier Pferde sollen binnen einer halben Stunde vor meinen Reisewagen gespannt bereit stehen!«
Alle weiblichen Hände im Hause machten sich ans Kofferpacken. Die Duchezza zog hastig ein Reisekleid an. Dem Grafen teilte sie nichts mit. Der Gedanke, ihm einen kleinen Streich zu spielen, versetzte sie in Entzücken.
»Meine Freunde,« sagte sie zu der versammelten Dienerschaft, »ich habe erfahren, daß mein armer Neffe soeben in contumaciam verurteilt worden ist, weil er den Mut gehabt hat, sein Leben gegen einen Wüterich zu verteidigen. Giletti wollte ihn ermorden. Jeder von euch hat mit eigenen Augen sehen können, wie gütig und verträglich Fabrizzio ist. Mit vollem Recht empört über diese gräßliche Ungerechtigkeit, reise ich nach Florenz. Ich zahle jedem von euch seinen Lohn auf zehn Jahre aus. Wenn es euch einmal schlecht gehen sollte, dann schreibt mir, und solange ich noch eine Zechine besitze, werde ich immer für euch etwas übrig haben.«
Die Duchezza dachte genau so, wie sie sprach. Bei ihren letzten Worten begannen die Diener zu schluchzen. Sie bekam selber feuchte Augen. Mit bewegter Stimme fuhr sie fort: »Betet zu Gott für mich und Monsignore Fabrizzio del Dongo, den Großvikar der Diözese, der morgen zur Galeere verurteilt wird oder, was viel gescheiter wäre, zum Tode.«
Die Tränen der Dienerschaft flossen noch reichlicher,verwandelten sich aber allmählich in geradezu aufrührerische Rufe. Die Duchezza bestieg ihren Wagen und befahl, nach dem fürstlichen Schlosse zu fahren. Trotz der ungebührlichen Stunde ließ sie sich durch den General Fontana, den diensttuenden Flügeladjutanten, einen Empfang auswirken. Sie war freilich nichts weniger als hoffähig gekleidet, was den Flügeladjutanten arg verblüffte. Serenissimus war jedoch keineswegs verwundert oder gar irgendwie ungnädig über ihre nachgesuchte Unterredung.
›Da werden wir wohl nicht zu knapp Tränen aus schönen Augen zu sehen kriegen!‹ sagte er sich und rieb sich schmunzelnd die Hände. ›Sie kommt, um Gnade zu erflehen. Endlich duckt sich diese stolze Schönheit! Sie war auch nachgerade unerträglich mit ihrem überlegenen Gehabe. Ihre Augen kamen mir immer vor, als wollten sie mir beim geringsten Anlaß, wenn ihr etwas nicht paßte, sagen: ›Neapel oder Mailand sind doch viel nettere Orte zum Leben als dies kleinstädtische Parma!‹ Über Neapel und Mailand regiere ich nun einmal nicht. Aber die hohe Dame kommt doch schließlich, mich um etwas zu bitten, was lediglich von mir abhängt und worauf sie brennt. Ich habe immer gemeint, irgendeinen Vorteil wird mir die Ankunft ihres Neffen doch bringen.‹
Während Serenissimus bei diesen Gedanken lächelte und sich in angenehme Aussichten verlor, schritt er in seinem Arbeitszimmer auf und ab, an dessen Tür der General Fontana immer noch kerzengerade und steif wie ein Soldat im Glied stand. Als er die Augen des Fürsten leuchten sah und sich dabei die Reisekleidung der Duchezza vergegenwärtigte, glaubte er, die Monarchie sei am Untergehen. Seine Verwunderung steigerte sich ins Grenzenlose, als er hörte, wie Serenissimus zu ihm sagte: »Bitten Sie die Frau Duchezza, sich ein Viertelstündchen zu gedulden!«
Der diensttuende General machte Kehrt wie ein Soldat bei der Parade. Der Fürst lächelte ihm nach.›Der ist auch nicht gewöhnt,‹ sagte er sich, ›die stolze Duchezza warten zu sehen! Das verdutzte Gesicht, mit dem er ihr sagen wird, sie solle ein Viertelstündchen warten, ist das Vorspiel zu der rührenden Tränenszene, die dieses Gemach alsbald erleben wird.‹
Dieses Viertelstündchen war für Serenissimus köstlich. Er lief mit festen, gleichmäßigen Schritten hin und her: er war Herrscher.
›Hier handelt es sich darum, nichts zu sagen, was nicht unbedingt angebracht ist. Welcher Art auch meine Gefühle der Duchezza gegenüber sein mögen, ich darf auf keinen Fall vergessen, daß sie eine der ersten Damen meines Hofes ist. Wie hat Ludwig XIV. die Prinzessinnen –Töchter empfangen, wenn er Anlaß hatte, über sie ungehalten zu sein!‹ Seine Blicke blieben an dem Bildnis des großen Königs haften.
Das Spaßige an der Geschichte war, daß sich der Fürst gar nicht die Frage vorlegte, ob
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