Die Kartause von Parma
ganzes Gesicht sagte: ›Elender Höfling!‹
›Somit entgeht mir dieses Mittel, sie in meinem Lande zurückzuhalten‹, sagte sich der Fürst nach einem prüfenden Blick auf die Duchezza. ›Noch in dieser Stunde, wenn sie dieses Zimmer verläßt, ist sie für mich verloren. Gott weiß, was sie in Neapel über meine Justiz erzählen wird. Mit ihrem Witz und der göttlichen Überzeugungskraft, die ihr der Himmel verliehen hat, wird sie es fertig bringen, daß ihr alle Welt glaubt. Ich werde ihr den Ruf eines lächerlichen Tyrannen verdanken, der nachts aufsteht und unter sein Bett guckt.‹
Durch eine geschickte Bewegung, als ob er hin und her liefe, um seine Bewegung zu dämpfen, nahm Serenissimus wiederum an der Tür seines Zimmers Aufstellung. Der Graf stand zu seiner Rechten, drei Schritt von ihm, totenblaß, entstellt und dermaßen aufgeregt, daß er sich auf die Rückenlehne des Sessels stützen mußte, auf dem die Duchezza bei Beginn der Unterredung gesessen und den der Fürst in einer Zorneswallung weit weggestoßen hatte. ›Wenn die Herzogin abreist,‹ sagte er sich, ›folge ich ihr; wird sie aber meine Begleitung haben wollen? Das ist die Frage!‹
Zur Linken des Fürsten stand die Duchezza. Hoch aufgerichtet, die Arme gekreuzt und gegen ihre Brust gedrückt,blickte sie ihn mit bewundernswürdiger Dreistigkeit an. Blutlose Blässe hatte die lebhaften Farben völlig verdrängt, die sonst ihr stolzes Antlitz belebten.
Im Gegensatz zu den beiden hatte der Fürst einen roten Kopf und unruhige Mienen. Seine linke Hand spielte nervös mit dem Stern an dem großen Bande seines Hausordens, den er unterm Rocke trug; mit der rechten strich er sich das Kinn.
»Was muß geschehen?« fragte er den Grafen, ohne recht zu wissen, was er tat, nur von der Gewohnheit geleitet, ihn in allen Dingen zu befragen.
»Ich weiß es wirklich nicht, Serenissimus!« erwiderte der Graf im Ton eines Sterbenden. Er brachte seine Entgegnung nur mühsam hervor. Der Klang seiner Stimme war für den Fürsten der erste Balsam während dieser Unterredung, die seinen Stolz verletzte, und dieses bescheidene Glück gab ihm ein paar Worte ein, die seiner Eigenliebe schmeichelten.
»Wie dem auch sei,« sagte« er, »ich bin von uns dreien der Vernünftigste. Ich muß wohl von meiner Stellung in der Welt gänzlich absehen. Ich will als Freund sprechen.« Ein huldvolles Lächeln begleitete diese Worte, das den glückseligen Zeiten Ludwigs XIV. ganz prächtig abgeschaut war. »Jawohl, als Freund zu Freunden! Frau Duchezza, was muß geschehen, damit Sie einen überstürzten Entschluß wieder rückgängig machen?«
»Wahrlich, ich weiß es nicht!« antwortete die Duchezza mit einem tiefen Seufzer. »Wahrlich, ich weiß es nicht, so sehr ist mir Parma zuwider geworden!« Sie hatte dieser Antwort keineswegs eine Spitze geben wollen; man sah es ihr an, daß ihr Mund die Wahrheit sprach. Der Graf drehte sich jäh nach ihr um. Seine Höflingsseele bäumte sich auf. Er warf dem Fürsten einen flehentlichen Blick zu. Mit viel Würde und Kaltblütigkeit ließ Serenissimus einen Augenblick verstreichen; dann wandte er sich an den Grafen.
»Ich sehe,« sagte er, »Ihre reizende Freundin ist völligaußer Fassung. Sehr einfach: sie betet ihren Neffen an.« Dann wandte er sich zur Duchezza und fuhr mit schmeichelndem Blick und in einem Tone fort, der die Komödie streifte: »Was muß geschehen, um diesen schönen Augen zu gefallen?«
Die Duchezza hatte Zeit zur Überlegung gehabt; langsam und bestimmt, gleichsam als diktiere sie ihr Ultimatum, erwiderte sie: »Serenissimus müßten mir einen huldvollen Brief schreiben, wie Eure Hoheit das vortrefflich verstehen. Der Inhalt müßte sein, daß Serenissimus von der Schuld des Fabrizzio del Dongo, Ersten Großvikars des Erzbischofs, keineswegs überzeugt seien und deshalb das Urteil nicht bestätigen wollen, wenn es Eurer Hoheit unterbreitet wird, und daß dieser ungerechte Prozeß keinerlei Folgen für die Zukunft haben soll ...«
»Wie? Ungerecht?« rief der Fürst, bis in die Haarwurzeln errötend und von neuem aufbrausend.
»Das ist nicht alles!« erwiderte die Duchezza mit dem Stolz einer Römerin. »Noch heute nacht,« sagte sie mit einem Blick auf die Wanduhr, »– und es ist bereits ein Viertel auf zwölf –, noch heute nacht müßten Serenissimus der Marchesa Raversi den Rat erteilen lassen, sich auf ihrem Landgut von den Anstrengungen zu erholen, die sie ein gewisser Prozeß kostete, von dem
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