Die Kartause von Parma
und inwiefern er Fabrizzio Gnade angedeihen lassen wolle. Nach zwanzig Minuten erschien endlich der getreue Fontana abermals in der Tür, doch ohne ein Wort zu sagen.
»Die Duchezza kann eintreten!« rief Serenissimus mit theatralischer Miene. ›Die Tränen gehen los!‹ dachte er und zog, wie um sich auf dieses Schauspiel vorzubereiten, sein Taschentuch heraus.
Die Duchezza war schöner und anmutiger denn je. Man sah ihr keine fünfundzwanzig Jahre an. Beim Anblick ihres leichten, flinken Schrittes, mit dem sie über die Teppiche hinschwebte, war der Flügeladjutant nahe daran, seinen Verstand gänzlich zu verlieren.
»Ich habe Serenissimus um Verzeihung zu bitten,« begann die Duchezza mit unbeschwerter und heiterer Flüsterstimme, »daß ich mir die Freiheit genommen habe, vor Eurer Hoheit in einem Kleid zu erscheinen, das nicht ganz der Hofordnung entspricht, aber Serenissimus haben mich dermaßen mit Allerhöchstdero Güte verwöhnt,daß ich zu hoffen wage, Eure Hoheit werden mir auch noch diese letzte Gnade erweisen.«
Die Duchezza setzte ihre Worte recht langsam, um einen ausgiebigeren Genuß am Mienenspiel des Fürsten zu haben. Es war köstlich durch die Mischung von tiefem Erstaunen und einem Rest von hoheitsvollem Ausdruck, der aus der Kopf- und Armhaltung sprach. Der Fürst stand lange wie vom Blitz erstarrt. Mit seiner leisen, schrillen Stimme, die ganz verwirrt klang, stieß er ab und zu nur mühsam ein »Wieso? Wieso?« hervor.
Die Duchezza heuchelte Ehrfurcht und ließ Serenissimus nach einer Verbeugung volle Zeit zur Antwort. Schließlich begann sie von neuem:
»Ich wage zu hoffen, daß Serenissimus mir mein ungebührliches Kostüm allergnädigst verzeihen.«
Während sie das sagte, schimmerten ihre Spötteraugen in so lebhaftem Feuer, daß es dem Fürsten unerträglich ward. Er blickte zur Decke empor. Das war an Serenissimus immer das Kennzeichen der äußersten Hilflosigkeit.
»Wieso? Wieso?« wiederholte er. Dann fand er zum Glück eine Redensart: »Frau Duchezza, nehmen Sie doch Platz!«
Er rückte ihr höchst eigenhändig und leidlich gewandt einen Lehnsessel zurecht. Die Duchezza war für diese Artigkeit keineswegs unempfänglich; sie mäßigte das Ungestüm ihrer Blicke.
»Wieso? Wieso?« wiederholte Serenissimus abermals, indem er sich in seinem Lehnsessel rekelte, als ob er den richtigen Fleck zum Sitzen nicht finden könne.
»Ich will die Nachtkühle zur Postfahrt benutzen,« entgegnete ihm die Duchezza, »und da meine Abwesenheit vielleicht von einiger Dauer sein wird, so habe ich das Land Eurer Hoheit auf keinen Fall verlassen wollen, ohne für all die Gnade und das Gute untertänigst zu danken, mit denen Serenissimus mich seit fünf Jahren allergnädigst ausgezeichnet haben.«
Bei diesen Worten begriff der Fürst endlich. Er wurde fahl. Er war just einer, den es im höchsten Grade schmerzte, wenn er sich in seinen Voraussetzungen getäuscht sah. Dann nahm er eine ungemein hoheitsvolle Miene an, deren sich Ludwig XIV. droben in seinem Rahmen nicht hätte zu schämen brauchen.
›Ausgezeichnet!‹ sagte sich die Duchezza. ›Das ist ein Mann!‹
»Und was ist die Veranlassung zu dieser plötzlichen Abreise?« fragte Serenissimus ziemlich scharf.
»Ich hegte diese Absicht schon lange,« erwiderte die Duchezza, »aber eine kleine Unbill, die man Monsignore del Dongo angetan hat, der morgen zum Tode oder zur Galeere verurteilt wird, hat meine Abreise beschleunigt.«
»Und in welche Stadt gehen Sie?«
»Ich denke, nach Neapel.« Und indem sie sich erhob, fügte sie hinzu: »Es bleibt mir nichts mehr übrig, als von Eurer Hoheit Abschied zu nehmen. Ich danke Serenissimus alleruntertänigst für die frühere Huld und Gnade.«
Die Duchezza hatte in so festem Tone gesprochen, daß der Fürst wohl erkannte, in zwei Minuten sei alles vorbei. Ward diese verblüffende Abreise einmal zur Tatsache, dann war ein Ausgleich ein Ding der Unmöglichkeit. Sie war keine Frau, die einen einmal getanen Schritt zurückging. Serenissimus lief ihr nach.
»Sie wissen sehr wohl, Frau Duchezza,« sagte er zu ihr und ergriff ihre Hand, »daß ich Sie immer geliebt habe, und zwar aus einer Freundschaft, der einen anderen Namen zu geben nur an Ihnen gelegen hat. Es ist ein Mord begangen worden; das läßt sich nicht leugnen. Ich habe die Untersuchung in die Hände meiner besten Richter gelegt.«
Bei diesen Worten stand die Duchezza in ihrer vollen Hoheit da. Jede Spur von Untertänigkeit und selbst
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