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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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du die Nacht über im Palazzo und läßt dich früh um vier Uhr als von mir gesandt anmelden. Monsignore hat die Gewohnheit, mit Tagesanbruch aufzustehen. Erbitte dir von Seiner Hochwürden den Segen, überreiche ihm meinen Brief und nimm etwaige Briefschaften in Empfang, die er dir für Bologna einhändigt.«
    Dem Erzbischof sandte die Duchezza die Urschrift des fürstlichen Briefes. Da sich dieses Schreiben auf seinen Großvikar bezöge, bäte sie ihn, es dem erzbischöflichen Archiv einzuverleiben. Sie hoffe insgeheim, die Herren Großvikare und Kanoniker, die Amtsbrüder ihres Neffen, würden davon Kenntnis erhalten. Alles natürlich unter dem Siegel der tiefsten Verschwiegenheit.
    Die Duchezza schrieb an Monsignore Landriani mit einer Vertraulichkeit, die diesen Spießbürger entzücken mußte. Allein die Unterschrift betrug drei Zeilen. Der überaus freundschaftliche Brief schloß mit folgendem Wortschwall:
    Angelina Cornelia Isotta Valserra del Dongo, Duchezza di Sanseverina.
    ›So umständlich‹, dachte sie und lachte dabei, ›habe ich mich seit meinem Ehevertrag mit dem armen Duca nicht unterzeichnet! Aber man gewinnt Leute dieses Schlages nur mit dergleichen. In den Augen von Spießbürgern ist Karikatur Schönheit.‹
    Sie konnte ihr Tagewerk nicht beschließen, ohne der Versuchung nachzugeben, dem armen Grafen einen Brief voller Bosheit zu schreiben. Sie machte ihm die förmliche Anzeige ›zur Nachachtung in seinem Verkehr mit gekrönten Häuptern‹, daß sie sich nicht fähig fühle, einen in Ungnade gefallenen Minister aufzuheitern. ›Serenissimus jagt Ihnen Furcht ein‹, schrieb sie. ›Wenn Sie nicht mehr vor ihn treten dürfen, dann müßte ich Ihnen Furcht einjagen.‹ Diesen Brief ließ sie auf der Stelle besorgen.
    Am anderen Morgen gegen sieben Uhr befahl Serenissimus den Grafen Zurla, den Minister des Inneren, zu sich.
    »Erlassen Sie erneut die strengsten Verfügungen an alle Behörden, Herrn Fabrizzio del Dongo zu verhaften«, sagte er zu ihm. »Mir ist zur Kenntnis gekommen, daß er es vielleicht wagen wird, unsere Lande wieder zu betreten. Dieser Flüchtling hält sich in Bologna auf, wo er den Armen unserer Gerichtsbarkeit zu trotzen scheint. Schicken Sie Schergen, die ihn persönlich kennen:
    erstens in alle Dörfer längs der großen Straße Bologna – Parma,
    zweitens in die Umgebung des Schlosses der Duchezza di Sanseverina bei Sacca und ihrer Besitzung bei Castelnuovo,
    drittens in die Nähe des Landgutes des Grafen Mosca.
    Ich erwarte von Ihrer hohen Klugheit, Graf, daß diese Verfügungen Ihres Fürsten vor den Schnüffeleien des Grafen Mosca geheim bleiben. Sie wissen, ich will die Verhaftung des Herrn Fabrizzio del Dongo.«
    Kaum war der Minister hinausgegangen, da trat durch eine verborgene Tür der Großfiskal Rassi in das Zimmer des Fürsten. Er sah aus wie ein halb zugeklapptes Taschenmesserund machte bei jedem Schritt eine Verbeugung. Die Gesichtszüge dieses Halunken waren zum Malen; sie stimmten vollkommen zu der niederträchtigen Rolle, die er am Hofe spielte. Der unstete und unsichere Blick seiner Augen verriet das Bewußtsein seiner Schlechtigkeit, aber der anmaßende und verzerrte Zug von Zuversicht um seinen Mund bewies, daß er der Verachtung zu trotzen wagte.
    Da diese Persönlichkeit einen ziemlich bedeutenden Einfluß auf das Geschick Fabrizzios haben wird, so müssen wir ihr ein paar Worte widmen. Rassi war von hoher Gestalt, hatte schöne, überaus kluge Augen, aber ein von Blatternarben entstelltes Gesicht. Geistig war er äußerst begabt und durchtrieben; man schrieb ihm die vollste Beherrschung der Rechtswissenschaft zu. Worin er aber besonders hervorragte, das war, daß er stets eine Hintertür hatte. Wie ein Fall auch liegen mochte, er fand mühelos und binnen wenigen Augenblicken rechtliche Mittel und Wege, um eine Verurteilung oder Freisprechung durchzusetzen. Er war ein Meister in Advokatenschlichen.
    Dieser Mensch, um den die größten Monarchieen Europas den Fürsten von Parma beneiden konnten, hatte nur eine Leidenschaft: mit hohen Persönlichkeiten auf vertrautem Fuße zu stehen und sich durch Narreteien bei ihnen beliebt zu machen. Einerlei, ob ein Mächtiger über das lachte, was er sagte, oder gar über seine Person oder empörend über Frau Rassi witzelte: wenn er nur überhaupt lachte und ihn vertraulich behandelte, dann war er zufrieden. Bisweilen hatte Serenissimus, wenn er nicht wußte, wie er diesen würdigen Oberrichter aufziehen

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