Die Kartause von Parma
sollte, ihm sogar Fußtritte gegeben, und der fing an zu heulen, wenn sie ihm weh taten. Sein angeborener Hang zu Harlekinaden war so stark, daß ihm der Salon eines Ministers, der ihn verhöhnte, lieber war als sein eigener, wo er das Zepter über alle schwarzen Talare des Landes schwang. Eine ganz besondere Stellung hatte sich Rassidadurch geschaffen, daß es auch dem anmaßendsten Edelmann unmöglich war, ihn zu demütigen. Seine Rache für all die Unbill, die er täglich hinnahm, bestand darin, daß er sie dem Fürsten erzählte, bei dem er sich das Vorrecht erworben hatte, alles sagen zu dürfen. Allerdings war die Quittung dafür öfters eine wohlgezielte Ohrfeige, die ihn zwar schmerzte, aus der er sich aber im übrigen nichts machte. Die Gegenwart dieses Oberrichters zerstreute Serenissimus in Augenblicken übler Laune; dann belustigte er sich damit, ihn zu peinigen. Man sieht, Rassi war die vollendetste Hofschranze: ohne Ehrgefühl und immer guter Laune.
»Verschwiegenheit vor allen Dingen!« rief ihm der Fürst entgegen, ohne ihn zu begrüßen, als ob er einen Schuljungen vor sich hätte, er, der sonst gegen jedermann so höflich war.
»Von wann ist das Urteil?«
»Serenissimus, von gestern vormittag.«
»Wie viele Richter haben es unterschrieben ?«
»Alle fünf.«
»Und wie lautet es ?«
»Zwanzig Jahre Festung, wie Eure Hoheit mir befohlen haben.«
»Die Todesstrafe hätte Entrüstung hervorgerufen«, sagte der Fürst wie im Selbstgespräch. »Eigentlich schade! Welchen Eindruck hatte das auf dieses Weib gemacht! Aber es ist ein del Dongo, und dieser Name steht in Parma in hohem Ansehen wegen der drei Erzbischöfe, die fast unmittelbar aufeinander gefolgt sind. Zwanzig Jahre Festung, sagten Sie ?«
»Jawohl, Serenissimus,« entgegnete der Großfiskal Rassi, immer noch in seiner Taschenmesserstellung, »nach vorhergegangener öffentlicher Abbitte vor dem Bildnis Eurer Hoheit, und überdies Fasten bei Wasser und Brot an allen Freitagen und an den Vorabenden aller hohen Feiertage wegen offenkundiger Gottlosigkeit. Dies, um ihm zugleich für alle Zukunft den Hals zu brechen.«
»Schreiben Sie!« sagte der Fürst. »Seine Hoheit haben sich bewogen gefühlt, infolge untertäniger Bitten der Marchesa del Dongo, Mutter des Schuldigen, sowie der Duchezza di Sanseverina, seiner Tante, die vorstellig geworden sind, daß ihr Sohn und Neffe zur Zeit seines Verbrechens noch sehr jung und überdies von einer wahnsinnigen Leidenschaft zu der Frau des unglücklichen Giletti beherrscht gewesen sei, besagte Strafe des Fabrizzio del Dongo, trotz dem Abscheu vor einem derartigen Mord, allergnädigst in zwölf Jahre Festungshaft auf der Zitadelle zu verwandeln.«
»Geben Sie her zur Unterschrift!«
Der Fürst unterzeichnete und datierte um einen Tag zurück. Dann gab er Rassi das Urteil wieder und sagte: »Schreiben Sie unmittelbar unter meine Unterschrift: ›Nachdem die Duchezza di Sanseverina abermals einen Fußfall vor Seiner Hoheit getan, haben Allerhöchstderselbe zu erlauben geruht, daß der Verurteilte jeden Donnerstag eine Stunde auf der Plattform des großen fünfeckigen Turmes, gewöhnlich Torre Farnese genannt, spazieren gehen darf.‹«
»Unterschreiben Sie das!« sagte der Fürst. »Und vor allen Dingen reinen Mund, was Ihnen auch in der Stadt zu Ohren kommen möge. Dem Signor dei Capitani, der für zwei Jahre Festung war und für dieses lächerliche Maß auch noch Stimmung gemacht hat, lasse ich sagen, er möge die Gesetze und Verfügungen besser studieren. Nochmals: Stillschweigen und guten Morgen!«
Der Gerichtspräsident machte höchst würdevoll drei tiefe Bücklinge, die Serenissimus nicht beachtete.
Das ereignete sich früh sieben Uhr. Etliche Stunden später verbreitete sich die Neuigkeit von der Verbannung der Marchesa Raversi in der Stadt und in den Kaffeehäusern. Alle Welt sprach alsbald von diesem großen Ereignis. Die Verbannung der Marchesa verjagte für eine Weile aus Parma die unerbittliche Feindin der Kleinstädte und Duodezhöfe, die Langeweile. Der GeneralFabio Conti, der sich im Geist als Minister gesehen hatte, schützte einen Gichtanfall vor und kam mehrere Tage lang nicht aus seiner Zitadelle heraus. Die Bürgerschaft und also auch die kleinen Leute folgerten aus diesen Geschehnissen, es sei klar, daß sich Serenissimus entschlossen habe, das Erzbistum von Parma dem Monsignore del Dongo zu übertragen. Schlaue Kaffeehauspolitiker verstiegen sich sogar zu der Behauptung, man
Weitere Kostenlose Bücher