Die Kartause von Parma
sie bei Beginn ihrer heutigen Abendgesellschaft geredet hat.«
Der Fürst lief in seinem Arbeitszimmer umher wie ein wütender Löwe.
»Hat man je so ein Weib erblickt?« rief er aus. »Sie vergißt allen Respekt vor mir!«
Die Duchezza antwortete mit vollendetem Liebreiz: »Nie in meinem Leben ist es mir in den Sinn gekommen, vor Serenissimus den Respekt zu vergessen. Eure Hoheit hatten aber die außerordentliche Gnade, zu sagen, Hoheit sprächen als Freund zu Freunden. Übrigens verspüre ich gar keine Lust, in Parma zu bleiben.«
Bei diesen letzten Worten sah sie den Grafen voll unsäglicher Verachtung an. Dieser Blick brachte den Fürstenzum Entschluß. Bis dahin hatte er sehr geschwankt, wenn er auch seinen Worten nach zu einem Entgegenkommen geneigt erschienen war. Er spottete gern aller Worte.
Nach etlichem Hinundherreden gab er dem Grafen schließlich doch den Befehl, einen Brief aufzusetzen, wie ihn die Duchezza mit Anmut ertrotzt hatte. Der Graf ließ den Satz, der ungerechte Prozeß solle keinerlei Folgen für die Zukunft haben, aus. ›Es genügt,‹ sagte er sich, ›daß Serenissimus verspricht, das Urteil nicht zu unterschreiben, wenn es ihm vorgelegt wird.‹ Der Fürst dankte ihm mit einem Blick, als er den Brief unterzeichnete.
Damit hatte der Graf einen großen Fehler begangen. Der Fürst war müde und hätte alles unterschrieben. Er glaubte, er habe sich gut aus der Verlegenheit gezogen, und während der ganzen Komödie hatte ihn nur der eine Gedanke beherrscht: ›Wenn die Duchezza meinen Hof verläßt, ist er in acht Tagen verödet.‹
Der Graf beobachtete, wie der Monarch das Datum durchstrich und das des nächsten Tages dafür hinschrieb. Er schaute auf die Wanduhr: Der Zeiger stand kurz vor Mitternacht. Der Minister sah in dieser Berichtigung des Datums nur den kleinlichen Eifer des Fürsten, seine Peinlichkeit und fürsorgliche Regierung zu zeigen. Gegen die Verbannung der Marchesa Raversi wandte Serenissimus keine Silbe ein. Ernst IV. machte es besonderen Spaß, Leute in die Verbannung zu schicken.
»General Fontana!« befahl er, indem er die Tür ein wenig öffnete.
Der General erschien mit so verdutztem und so neugierigem Gesichte, daß die Duchezza und der Graf deswegen einen belustigten Blick wechselten. Dieser Blick war ihr Friedensschluß.
»General Fontana,« sagte der Fürst, »nehmen Sie meinen Wagen, der in der Halle bereit steht, und fahren Sie zur Marchesa Raversi! Lassen Sie sich bei ihr anmelden!Ist sie zu Bett, dann fügen Sie hinzu, Sie kämen von mir. Wenn Sie in ihrem Zimmer sind, dann sagen Sie ihr buchstäblich folgende Worte und nichts weiter: ›Frau Marchesa Raversi, Serenissimus ersucht Sie, morgen vor acht Uhr vormittags nach Ihrem Schloß Velleia abzureisen. Serenissimus wird Ihnen anzeigen lassen, wann Sie nach Parma zurückzukehren haben.‹«
Die Augen des Fürsten suchten die der Duchezza. Ohne ihm Dank zu sagen, wie er es eigentlich erwartet hatte, machte sie ihm eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung und ging rasch hinaus.
»Das ist ein Weib!« sagte Serenissimus und wandte sich zu Mosca.
Entzückt über die Verbannung der Marchesa Raversi, die allen seinen Handlungen als Minister entgegenarbeitete, sprach der Graf eine reichliche halbe Stunde als waschechter Höfling. Er wollte die Eigenliebe des Monarchen trösten und verließ ihn nicht eher, als bis er ihn durch und durch überzeugt sah, daß die anekdotenreiche Lebensgeschichte Ludwigs XIV. keine so herrliche Episode enthalte wie die, die er seinem künftigen Biographen soeben geliefert hatte.
In ihren Palazzo zurückgekehrt, schloß sich die Duchezza ein und befahl, niemanden vorzulassen, sogar den Grafen nicht. Sie wollte allein mit sich selbst sein und sich über den soeben erlebten Auftritt klar werden. Sie hatte blindlings drauflos gehandelt, so, wie es ihr im Augenblick Freude machte. Aber nach welcher Richtung sie sich hätte hinreißen lassen, sie hätte sie unwandelbar weiterverfolgt. Sie hätte sich keinerlei Vorwürfe gemacht, sobald sie wieder bei kaltem Blute war, noch weniger hätte sie etwas bereut. So war ihr Charakter, kraft dessen sie noch mit sechsunddreißig Jahren die ansehnlichste Frau am Hofe zu sein vermochte.
Sie grübelte nun nach, was ihr Parma Angenehmes bieten könne, als ob sie von einer langen Reise zurückgekommen sei, so sicher war sie in der Zeit von neun biself Uhr abends gewesen, diesem Land auf immer den Rücken zu kehren.
›Der arme Graf sah spaßig
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