Die Kartause von Parma
spielen und dem Gefangenen die Freiheit zu verschaffen!«
Für einige Zeit müssen wir Fabrizzio nun in seinem Gefängnis im obersten Stock der Zitadelle sich selbst überlassen. Man bewachte ihn gut, und wir werden ihn vielleicht ein wenig verändert wiederfinden. Wir wollen uns zunächst mit der Hofgesellschaft beschäftigen, in der verwickelte Ränke und vor allem die Leidenschaft einer unglücklichen Frau sein Schicksal entscheiden werden. Während Fabrizzio die dreihundertneunzig Stufen zu seiner Zelle in der Torre Farnese hinaufstieg, hatte er keine Zeit, über sein Unglück nachzudenken.
Als die Duchezza von der Abendgesellschaft beim Grafen Zurla heimkehrte, schickte sie ihre Kammerfrauen mit einer Handbewegung weg; dann warf sie sich unausgekleidet auf ihr Bett.
»Fabrizzio«, schrie sie laut auf, »ist in der Macht seiner Feinde, und vielleicht vergiften sie ihn meinetwegen!«
Die Verzweiflung, die dieser Erkenntnis folgte, ist nicht zu schildern, zumal bei einer wenig vernünftigen Frau,die eine Sklavin ihrer augenblicklichen Stimmung und, ohne es sich einzugestehen, in den jungen Gefangenen unsinnig verliebt war: Gestammel, Wutausbrüche, krampfhafte Zuckungen, aber keine Tränen.
Sie schickte ihre Dienerschaft weg, um ihren Zustand zu verbergen. Sie hatte geglaubt, sie müsse in Schluchzen ausbrechen, sobald sie allein sei, aber die Tränen, der erste Trost in großen Schmerzen, blieben völlig aus. Wut, Entrüstung, das Gefühl ihrer Ohnmacht gegenüber dem Fürsten beherrschten ihre stolze Seele völlig.
»Bin ich nun gedemütigt genug?« rief sie wieder und wieder. »Man beschimpft mich, mehr noch, man gefährdet Fabrizzios Leben! Und ich soll mich nicht rächen? Halt, Serenissimus! Sie können ihn morden, gut, Sie haben die Macht dazu! Aber dann gehe ich Ihnen ans Leben! Ach, armer Fabrizzio, was hast du davon ? Was für ein Unterschied zwischen heute und jenem Tage, als ich Parma verlassen wollte! Und wie unglücklich wähnte ich mich damals doch! Welche Verblendung! Ich wollte auf alle Annehmlichkeiten im Leben verzichten... O, ungewollt rühre ich da an ein Ereignis, das mein Geschick auf ewig entschieden hat. Hätte der Graf in seiner abscheulichen Hofschranzengewohnheit nicht die Worte ›ungerechter Prozeß‹ unterdrückt, in dem unseligen Brief, den ich dem Dünkel des Fürsten abtrotzte, so wären wir gerettet. Mehr aus Glück als aus Geschicklichkeit hatte ich seine Eitelkeit auf seine geliebte Stadt Parma mit ins Spiel gezogen. Damals drohte ich mit meiner Abreise; damals war ich frei! Großer Gott, jetzt bin ich eine rechte Sklavin! Jetzt stecke ich tief in diesem verruchten Pfuhl; und Fabrizzio liegt in Ketten in der Zitadelle, in dieser Zitadelle, die für manchen Edlen ein Vorhof des Todes ist! Ich vermag den Tiger nicht mehr zu bändigen mit der Furcht, daß ich seine Raubtierhöhle verlasse!
Er ist viel zu schlau, nicht zu merken, daß ich mich nie und nimmer von diesem verruchten Turm, an den mein Herz gefesselt ist, entfernen werde. Jetzt kann die verletzteSelbstgefälligkeit dieses Mannes ihm die sonderlichsten Gedanken einjagen, ja, seine verrückte Grausamkeit wird seine unglaubliche Eigenliebe noch anstacheln. Wenn er seine alten, faden Liebesanträge erneuert, wenn er mir sagt: ›Erhören Sie die Huldigungen Ihres Sklaven, oder Fabrizzio ist des Todes!‹ – meinetwegen! Die alte Geschichte von der Judith! Ja, aber das wäre nicht nur Selbstmord meinerseits, das wäre Mord an Fabrizzio! Der Tropf von Nachfolger, unser Erbprinz, und der niederträchtige Henker Rassi brächten Fabrizzio als meinen Mitschuldigen an den Galgen.«
Die Duchezza schrie laut auf; dieses Entweder – oder, vor dem sie keinen Ausweg sah, marterte ihr unglückliches Herz. Ihr wirrer Kopf erblickte keine dritte Möglichkeit am Horizonte. Zehn Minuten lang tobte sie wie von Sinnen. Schließlich löste ein kurzer Schlaf diesen schrecklichen Zustand völliger Erschöpfung ab; ihre Lebenskraft war zu Ende. Nach ein paar Minuten fuhr sie jäh aus ihrem Schlummer auf und fand sich auf ihrem Bett sitzend. Ihr hatte geträumt, der Fürst wolle Fabrizzio in ihrer Gegenwart köpfen lassen. Mit verstörten Augen schaute die Duchezza um sich. Als sie sich endlich klar ward, daß weder Serenissimus noch Fabrizzio ihr vor Augen stand, sank sie auf ihr Bett zurück, einer Ohnmacht nahe. Ihre Glieder waren so schwach, daß sie nicht die Kraft hatte, sich anders hinzulegen. »Mein Gott, wenn ich sterben
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