Die Kartause von Parma
mein alter Fährmann aus Grianta, nach Genf reisen und sie dorthin inSicherheit bringen. Wenn Fabrizsio je entkommt – großer Gott, steh mir bei! –,‹ sagte sie, sich bekreuzigend, ›so könnte der Marchese del Dongo in seiner maßlosen Feigheit es für sündhaft finden, einem Menschen, der von einem legitimen Fürsten verfolgt wird, sein Brot zu gewähren. Dann soll er wenigstens meine Diamanten haben und nicht zu hungern brauchen.
Ich nehme den Besuch des Grafen nicht an. Allein mit ihm zu sein nach dem, was sich soeben ereignet hat, das ist mir unmöglich. Der arme Mann! Er ist keineswegs bösartig; im Gegenteil, er ist nur schwach. Seine Alltagsseele reicht bei weitem nicht zur Höhe der unsrigen hinan. Armer Fabrizzio, daß du nicht einen Augenblick bei mir sein kannst, um mit mir über die Gefahren zu beraten, die uns drohen!
Die peinliche Vorsicht des Grafen würde meine Pläne nur beengen; zudem ist es nicht nötig, ihn mit in mein Verderben hineinzureißen. Denn warum sollte mich die Eitelkeit jenes Tyrannen nicht in den Kerker werfen, als eine Mitverschworene? Nichts ist leichter zu beweisen. Wenn er mich in die Zitadelle sperrte, und ich könnte Fabrizzio mit Hilfe von Gold sprechen, und wäre es nur einen Augenblick, mit welchem Mute gingen wir da gemeinsam in den Tod! – Aber weg mit diesen Albernheiten! Sein Rassi könnte ihm ebensogut raten, mich zu vergiften. Wenn ich auf einem Karren durch die Straßen gefahren würde, so könnte das seinen teuren Untertanen auf die Nerven gehen. – O nein, nicht so romanhaft! Ach, solche Torheiten sind verzeihlich bei einem armen Weibe, dessen wirkliches Schicksal so traurig ist! In Wahrheit fällt es Serenissimus gar nicht ein, mich in den Tod zu schicken; aber nichts ist für ihn einfacher, als mich in den Kerker zu werfen und dort schmachten zu lassen. Er brauchte nur in einem Winkel meines Palastes allerlei verdächtige Schriftstücke verstecken zu lassen, wie es bei jenem armen L. geschah. Dazu drei Richter, die gar nicht einmal Schurken sein müssen. Dennwas sie Beweisstücke nennen, ist ja da, und ein Dutzend falscher Zeugen dazu. Ich kann also als Verschwörerin zum Tode verurteilt werden. Serenissimus wird jedoch in seiner grenzenlosen Milde und in Anbetracht dessen, daß ich einst die Ehre hatte, seinem Hofe anzugehören, meine Strafe in zehn Jahre Festung umwandeln. Ich aber werde dann meinen ungestümen Charakter nicht verleugnen, der mich verleitet hat, der Marchesa Raversi und meinen anderen Feinden so manche Bosheit zu sagen: ich werde mich tapfer vergiften. Zum mindesten wird das Publikum die Güte haben, dies zu glauben; ich wette aber, Rassi erscheint in meiner Zelle und überbringt mir ritterlicherweise, im Auftrag des Fürsten, ein Fläschchen mit Strychnin oder Opium von Perugia.
Ja, ich muß mich mit dem Grafen ganz offenkundig entzweien, denn ich will ihn nicht mit in mein Verderben ziehen; das wäre Niedertracht. Der arme Mann hat mich mit so viel Aufrichtigkeit geliebt. Es war eine Dummheit von mir, zu glauben, daß in einem echten Hofmann so viel Seele übrig bleiben könnte, um der Liebe fähig zu sein. Höchstwahrscheinlich wird Serenissimus irgendeinen Vorwand finden, mich in den Kerker zu werfen. Er wird befürchten, ich könne die öffentliche Meinung für Fabrizzio gewinnen. Der Graf hat ein sehr feines Ehrgefühl. Er bringt im Augenblick zuwege, was die Wichte hier am Hof in ihrer völligen Verblüffung eine Torheit nennen würden: er wird den Hof verlassen. Ich habe an jenem Abend mit dem Brief die Würde des Fürsten verletzt; bei seiner gekränkten Eitelkeit kann ich mich auf alles gefaßt machen. Vergißt ein geborener Fürst jemals eine Empfindung, wie ich sie an jenem Abend verursacht habe? Ist der Graf übrigens mit mir entzweit, so ist er viel mehr in der Lage, Fabrizzio zu nützen. Aber wird er nicht aus Verzweiflung über meinen Entschluß auf Rache sinnen? Halt! Da habe ich ja gleich einen Einfall, auf den er niemals geraten wäre. Die tiefe Gemeinheit des Fürsten geht ihm völlig ab. Er kann einen niederträchtigenErlaß seufzend gegenzeichnen und bleibt doch ein Ehrenmann. Und dann, weshalb sollte er sich rächen wollen? Nur weil ich nach fünf Jahren treuester Liebe ihm sage: ›Mein lieber Graf! Ich hatte das Glück, Sie zu lieben. Nun ist diese Flamme erloschen. Ich liebe Sie nicht mehr. Aber ich kenne Ihr Herz gründlich; ich bewahre Ihnen eine tiefe Verehrung, und Sie werden stets mein bester Freund
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