Die Kartause von Parma
ihr an, seine Entlassung einzureichen und seiner Freundin nach irgendeiner Zufluchtsstätte tausend Meilen von Parma zu folgen.
»Sie wagen mir vom Weggehen zu reden, wo Fabrizzio hierbleibt?« rief sie aus und richtete sich endlich halb auf. Aber da sie bemerkte, daß der Name Fabrizzio ihn schmerzlich berührte, fügte sie nach kurzem Schweigen hinzu, indem sie des Grafen Hand leicht drückte: »Nein, teurer Freund, ich will nicht behaupten, daß ich Sie mit jener Glut geliebt habe, die man vermutlich nicht einmal mit dreißig Jahren mehr hat, und ich bin über dieses Alterschon recht weit hinaus. Man wird Ihnen zugeflüstert haben, ich liebte Fabrizzio... Ich kenne ja den Klatsch, der an diesem boshaften Hof in Blüte steht.« Ihre Augen glänzten zum ersten Male während dieses Zwiegesprächs wieder auf, als sie das Wort ›boshaft‹ aussprach. »Ich schwöre Ihnen bei Gott und bei Fabrizzios Leben, daß zwischen ihm und mir nie auch nur das geringste geschehen ist, was das Auge eines Dritten hätte scheuen müssen. Ich will Ihnen nicht gerade sagen, daß ich ihn in schwesterlicher Zuneigung liebe; ich liebe ihn sozusagen – aus Instinkt. Ich liebe an ihm seinen schlichten und vollendeten Heldenmut, von dem man behaupten kann, daß er selber ihn nicht kennt. Ich erinnere mich, daß diese Art von Bewunderung begonnen hat, als er von Waterloo zurückkam. Er war noch ein Kind trotz seinen siebzehn Jahren. Seine größte Sorge war die, zu wissen, ob er wirklich an der Schlacht teilgenommen hatte, und wenn das der Fall war, ob er sagen dürfe, er sei Mitkämpfer gewesen, da er doch weder eine Batterie noch irgendeine feindliche Kolonne angegriffen hätte. Damals, bei den gewichtigen Erörterungen, die wir zusammen über diese bedeutsame Frage anstellten, habe ich an ihm zum ersten Male vollendeten Liebreiz entdeckt. Seine Seelengröße enthüllte sich mir. Mit was für klugen Lügen hätte jeder andere wohlerzogene junge Mann vor mir geprahlt! Kurz und gut, wenn er nicht glücklich ist, kann ich nicht glücklich sein. Das ist es! In diesen Worten haben Sie meinen Herzenszustand. Wenn es nicht die Wahrheit ist, so ist es zum mindesten alles, was ich von ihr weiß!«
Ermutigt durch diesen freimütigen, vertraulichen Ton, wollte der Graf ihr die Hand küssen. Sie entzog sie ihm mit einer Art von Grauen. »Das ist vorbei«, sagte sie zu ihm. »Ich bin eine Frau von siebenunddreißig Jahren, ich stehe an der Schwelle des Alters, ich merke bereits seine ganze Verzagtheit, und vielleicht bin ich sogar nicht mehr weit vom Grabe. Das ist ein schrecklicher Zeitpunkt,wie man sagt, und doch scheint er mir erwünscht. Ich verspüre das schlimme Vorzeichen des Alters. Mein Herz ist durch dieses furchtbare Unglück erstorben; ich kann nicht mehr lieben. Ich erblicke in Ihnen, lieber Graf, nur noch den Schatten von etwas, das mir teuer war. Mehr noch, es ist einzig Dankbarkeit, die mich veranlaßt, so zu Ihnen zu sprechen.«
»Was soll aus mir werden?« entgegnete ihr der Graf. »Ich fühle es doch: ich hänge an Ihnen leidenschaftlicher als in jenen Tagen, da ich Sie zum ersten Male in der Scala sah!«
»Darf ich Ihnen etwas gestehen, lieber Freund? Von Liebe zu reden, langweilt mich und scheint mir anstößig. Auf!« fuhr sie fort, indem sie zu lächeln versuchte, wenn auch vergeblich. »Mut! Seien Sie ein Mann von Geist, seien Sie verständig, seien Sie Herr der Lage! Zeigen Sie mir, daß Sie wirklich der Mann sind, für den Sie in den Augen der Unbeteiligten gelten, der gewandteste und größte Diplomat, den Italien seit Jahrhunderten erlebt!«
Der Graf stand auf und wandelte eine Weile stumm im Gemach hin und her.
»Unmöglich, meine Teure!« sagte er endlich. »Ich bin den Qualen der wildesten Empfindungen preisgegeben, und Sie verlangen von mir, ich solle die Vernunft sprechen lassen. Für mich gibt es keine Vernunft mehr!«
»Reden wir nicht von unseren Gefühlen, ich bitte Sie!« sagte sie in herbem Ton, und das war das erste Mal nach zweistündigem Gespräch, daß ihre Stimme einen bestimmten Klang annahm. Trotz seiner eigenen Verzweiflung suchte der Graf seine Freundin zu trösten.
»Er hat mich betrogen!« rief sie, ohne irgendwie auf die Hoffnungen einzugehen, die ihr der Graf begründete. »Er hat mich in der feigsten Weise betrogen!«
Ihre Totenblässe wich auf einen Augenblick; aber selbst während dieser äußerst heftigen Aufwallung sah der Graf, daß sie nicht die Kraft hatte, den Arm zu
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