Die Kartause von Parma
es möglich sei, an Fabrizzios Schuld zu glauben. Sie fand, es sei für einen Edelmann vom Rang ihres Neffen keine große Sünde weiter, sich eines unverschämten Komödianten zu entledigen. Aber in ihrer Verzweiflung stellte sich bei ihr das undeutliche Gefühl ein, sie sei verpflichtet, für den Unschuldsbeweis Fabrizzios zu kämpfen. ›Nein,‹ sagte sie sich schließlich, ›ich habe einen unumstößlichen Beweis. Er ist wie der arme Pietranera. Immer trägt er die Taschen voller Waffen, aber gerade an dem Tage hatte er nur eine erbärmliche Flinte, die er sich obendrein von einem Arbeiter geborgt hatte.
Ich hasse Serenissimus, weil er mich betrogen hat, betrogen in der allerfeigsten Art und Weise. Nach seinem Begnadigungsbrief hat er den armen Jungen in Bologna aufgreifen lassen. Aber diese Rechnung wird ausgeglichen!‹
Vernichtet durch diesen langen Verzweiflungsanfall, klingelte die Duchezza gegen fünf Uhr morgens ihren Kammerzofen. Die schrieen laut auf, als sie ihre Herrin auf dem Bett liegen sahen, völlig angekleidet, in ihrem Diamantenschmuck, bleich wie die Kissen, die Augen geschlossen.Sie kam ihnen vor wie eine prunkvolle Leiche. Sie hätten geglaubt, sie sei wirklich tot, wenn sie sich nicht erinnert hätten, daß sie soeben nach ihnen geklingelt hatte. Hin und wieder rannen ihr einzelne Tränen über die farblosen Wangen. Die Frauen begriffen ihren Wink, daß sie zu Bett gebracht sein wolle.
Nach der Abendgesellschaft beim Minister Zurla hatte sich Graf Mosca zweimal im Hause der Duchezza eingestellt. Da er beide Male nicht empfangen wurde, so schrieb er ihr, er bedürfe ihres Rates für seine eigene Person. Solle er seinen Posten behalten nach dem Schimpf, den man ihm anzutun gewagt? Weiterhin schrieb er: ›Der junge Mann ist unschuldig. Durfte man ihn verhaften, ohne mich vorher davon in Kenntnis zu setzen, mich, seinen erklärten Beschützer?‹ Die Duchezza bekam den Brief erst am anderen Tage.
Der Graf war Amoralist, ja man könnte hinzufügen, daß er das, was die Liberalen unter Tugend verstehen, nämlich die Fürsorge für das Allgemeinwohl, für eitel Spiegelfechterei hielt. Er glaubte sich verpflichtet, vor allem für das Heil des Grafen Mosca della Rovere zu sorgen. Aber er war von feinem Ehrgefühl und durchaus aufrichtig, wenn er von seinem Abschiedsgesuch sprach. Noch nie im Leben hatte er der Duchezza eine Lüge gesagt. Übrigens schenkte sie seinem Brief nicht die geringste Aufmerksamkeit. Ihr Entschluß, ein recht schmerzlicher Entschluß, war gefaßt: sich stellen, als ob sie Fabrizzio vergäße. Nach dieser Kraftprobe war ihr alles andere gleichgültig.
Anderntags wurde der Graf, der zehnmal vergeblich im Palazzo Sanseverina vorgesprochen hatte, endlich gegen Mittag vorgelassen. Er war beim Anblick der Duchezza wie vom Donner gerührt. ›Sie ist vierzig Jahre alt,‹ sagte er sich, ›und gestern sah sie so glänzend, so blühend aus! Alle Welt hat mir gesagt, während ihres langen Gesprächs mit Clelia Conti habe sie jung wie diese und geradezu verführerisch ausgesehen.‹
Der Klang ihrer Stimme war ebenso befremdend wie ihr Gesichtsausdruck. Dieser Klang, bar jeder Leidenschaft, jedes Anteils am Leben, jedes Trotzes, ließ den Grafen erbleichen. Er erinnerte ihn an einen seiner Freunde, der ihn vor wenigen Monaten nach Empfang der Sterbesakramente noch einmal hatte rufen lassen.
Es dauerte einige Minuten, bis die Duchezza zu sprechen vermochte. Sie schaute ihn an, aber ihre Augen blieben erloschen: »Trennen wir uns, mein lieber Graf!« sagte sie zu ihm mit schwacher, aber fester Stimme, indem sie sich alle Mühe gab, einen liebenswürdigen Ton anzuschlagen. »Trennen wir uns! Es ist nötig. Der Himmel ist mein Zeuge, daß ich mir in diesen fünf Jahren nichts gegen Sie vorzuwerfen habe. Sie haben mir ein glänzendes Dasein verschafft, mich aus der Langenweile befreit, die in Grianta mein trübseliges Los war. Ohne Sie hätte mich das Alter ein paar Jahre früher heimgesucht. Anderseits ist es mein einziges Streben gewesen, Ihnen zu helfen, glücklich zu sein. Und weil ich Sie liebe, sage ich Ihnen: Wir wollen gütlich auseinandergehen, à l'amiable, wie man in Frankreich zu sagen pflegt.«
Der Graf verstand sie nicht. Sie mußte es ihm mehrere Male wiederholen. Er wurde totenfahl, fiel vor ihrem Bett auf die Kniee und sagte alles, was tiefe Verblüfftheit und höchste Verzweiflung einem klugen, leidenschaftlich verliebten Mann eingeben können. Immer wieder bot er
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