Die Kartause von Parma
des Instinkts und nicht des Willens.
Merken Sie auf!« fuhr sie mit verändertem Ton und der Miene einer hohen Gebieterin fort. »Ich bin keinesfalls allzu betrübt über Fabrizzios Verhaftung; ich habe nicht im geringsten die Neigung, dieses Land zu verlassen; ich ehre Serenissimus. So sollen Sie sagen! Und nun, was ich Ihnen mitzuteilen habe: Da ich mein Tun und Lassen fortan allein zu bestimmen gedenke, will ich mich von Ihnen in aller Freundschaft trennen, das heißt, ich will Ihnen eine gute alte Freundin sein. Bilden Sie sich ein, ich wäre sechzig. Das junge Weib ist in mir erstorben, ich kann über nichts in der Welt mehr in Entzücken geraten, ich kann nicht mehr lieben. Aber ich wäre noch unglücklicher, als ich es bin, wenn ich Ihr Geschick gefährden sollte. Meine Pläne können es erheischen, daß ich mir vor den Leuten einen neuen Liebhaber zulege; aber ich möchte Ihnen damit nicht weh tun. Ich kann Ihnen schwören bei dem Glück Fabrizzios –,« nach diesen Worten machte sie eine kleine Pause, »daß ich Ihnen niemals untreu geworden bin, und das im Laufe von fünf Jahren. Das ist eine lange Zeit«, meinte sie und versuchte zu lächeln; ihre so bleichen Wangen belebten sich, aber ihre Lippen versagten. »Ich schwöre Ihnen sogar, daß ich weder Absicht noch Lust habe, Ihnen je untreu zu werden. Haben Sie mich recht verstanden? Dann lassen Sie mich allein!«
Der Graf verließ den Palazzo Sanseverina in heller Verzweiflung. Er war sich klar, daß die Duchezza den wohlerwogenen Vorsatz hatte, mit ihm zu brechen, aber nie war er so rasend verliebt gewesen. Das ist etwas, was ich immer besonders hervorheben muß, weil es außerhalb Italiens unwahrscheinlich ist. Als er in seine Wohnung kam, sandte er nicht weniger als sechs verschiedene Boten auf die Straße nach Castelnuovo und Bologna und gab ihnen Briefe mit. ›Aber das genügt nicht!‹ sagte sich der unglückliche Graf. ›Serenissimus kann den verstiegenen Einfall haben, den Unglücksjungen köpfen zu lassen, und zwar aus Rache für den Ton, den sich die Duchezzaam Tage jenes unglückseligen Briefes vor ihm herausgenommen hat. Ich hatte sofort das Gefühl, daß die Duchezza eine Grenze überschreite, über die man nie hinausgehen darf. Und gerade um die Sache wieder einzurenken, habe ich die unglaubliche Dummheit begangen, die Worte ›ungerechter Prozeß‹ zu unterdrücken, das einzige, was den Fürsten gebunden hätte... Ach was, diese Art Menschen ist durch nichts gebunden! Zweifellos ist das der Hauptfehler meines Lebens: Ich habe an den Entscheidungspunkten immer alles dem Zufall anvertraut. Jetzt heißt es, jene Torheit mit Tatkraft und Geschicklichkeit wettzumachen. Aber wenn ich nichts erreichen kann, selbst unter Preisgabe eines Teiles meiner Würde, dann lasse ich den Mann im Stich. Bei seinen großen politischen Träumen, seinen Ideen, sich zum König der Lombardei aufzuschwingen, wollen wir doch sehen, durch wen er mich ersetzen will. Fabio Conti ist nichts als ein Trottel, und Rassis Talent beschränkt sich darauf, jemanden, der den Machthabern mißfällt, gesetzmäßig an den Galgen zu bringen.‹
Nachdem der Entschluß einmal feststand, von seinem Ministerposten zurückzutreten, sobald die Maßregeln gegen Fabrizzio über die einfache Haft hinausgehen sollten, sagte sich der Graf: ›Wenn eine eitle Laune des so unklug gereizten Mannes mich mein Glück kostet, dann soll mir wenigstens die Ehre bleiben. Übrigens, da ich meines Amtes spotte, kann ich mir hundert Taten erlauben, die mich noch heute morgen unmöglich dünkten. Zum Beispiel werde ich das Menschenmögliche versuchen, Fabrizzio zur Flucht zu verhelfen...‹ »Großer Gott!« rief der Graf aus, sich selbst unterbrechend und die Augen weit aufreißend, als sähe er ein unverhofftes Glück: »Die Duchezza hat von einem Fluchtversuch gar nichts erwähnt. Sollte sie zum ersten Mal in ihrem Leben nicht aufrichtig sein? Sollte der Bruch nichts weiter sein als der Wunsch, mich zum Verräter am Fürsten zu machen? Meiner Treu, so ists!«
Der Blick des Grafen gewann all seine satirische Feinheit wieder. ›Dieser liebenswürdige Fiskal Rassi wird von Serenissimus für alle die Urteilssprüche bezahlt, die uns vor Europa entehren, aber er ist kein Mann, der sich nicht auch von mir bestechen und sich die Geheimnisse seines Gebieters abkaufen ließe. Die Bestie hat eine Mätresse und einen Beichtvater. Doch diese Liebste sieht mir zu schäbig aus, als daß ich mit ihr reden
Weitere Kostenlose Bücher