Die Kartause von Parma
dieses Gefühl zwischen uns je feste Formen annehmen könnte. Wir sind uns in unserer Jugend begegnet, wir haben uns in Unglückszeiten die helfende Hand geboten. Die Schikkung hat mich an diesen Ort des Grauens gestellt, um Ihr Leid zu mildern; aber ich müßte mir ewige Vorwürfe machen, wenn Trugschlüsse, die durch nichts gerechtfertigt sind und niemals gerechtfertigt werden, Sie dazu verleiten sollten, nicht jede mögliche Gelegenheit zu erfassen, um Ihr Leben einer so schrecklichen Gefahr zu entreißen. Ich habe den Frieden meiner Seele durch die grausame Unbesonnenheit verloren, daß ich mit Ihnen ein paar Freundschaftszeichen gewechselt habe. Wenn unser kindliches Spiel mit den Buchstaben Sie zu Illusionenverführt hat, die so wenig berechtigt sind und Ihnen verhängnisvoll werden können, so würde mich selbst die Berufung auf Barbones Mordversuch nicht freisprechen. Ich hätte Sie nur in eine viel gräßlichere und gewissere Gefahr gestürzt, während ich glaubte, Sie aus einer augenblicklichen Gefahr zu retten, und meine Torheiten wären ewig unverzeihlich, wenn sie Gefühle erweckt hätten, die Sie verführen könnten, sich den Ratschlägen der Duchezza zu widersetzen. Sehen Sie ein, was Ihnen zu wiederholen Sie mich zwingen! Retten Sie sich! Ich befehle es Ihnen...«
Der Brief war noch viel länger. Gewisse Stellen wie die: »Ich befehle es Ihnen«, gewährten Fabrizzios Liebe Blitze köstlicher Hoffnung. Es kam ihm vor, als sei ihre Anteilnahme im Kern Zärtlichkeit, wenn sie sich auch merklich vorsichtig ausgedrückt hatte. Daneben büßte er wiederum für seine Unwissenheit in dieser Art Kriegskunst; er sah in Clelias Brief nichts als bloße Freundschaft, ja ganz gewöhnliche Nächstenliebe.
Im übrigen vermochte ihn keine ihrer Mitteilungen einen Augenblick von seinem Vorsatz abzubringen. Selbst wenn die Gefahren, die sie ihm schilderte, wirklich bestanden, war denn das Glück, sie alle Tage zu sehen, durch augenblickliche Gefahren zu teuer erkauft? Was für ein Leben harrte seiner, wenn er wiederum nach Bologna oder Florenz floh? Denn wenn er der Zitadelle entrann, konnte er kaum auf die Erlaubnis hoffen, in Parma leben zu dürfen. Und auch wenn sich Serenissimus dazu entschließen sollte, ihm die Freiheit zu lassen (was wenig wahrscheinlich war, seitdem eine mächtige Partei in ihm ihr Mittel sah, den Grafen Mosca zu stürzen), was für ein Leben sollte er in Parma führen, geschieden von Clelia durch all den Haß, der die Parteien trennte? Ein- oder zweimal im Monat würden sie vielleicht durch Zufall in irgendeinem Salon zusammentreffen. Aber wie sollten sie dann miteinander sprechen? Wie konnte die völlige Vertrautheit wiederkehren, die er jetzttäglich stundenlang genoß? Ließ sich eine Salonplauderei mit der vergleichen, die sie sich mit den Buchstaben verschafften? ›Und wenn ich dieses köstliche Dasein und diese einzigartige Aussicht auf Glück mit etlichen kleinen Gefahren erkaufe, wo ist das Übel? Und ist das nicht auch Glück, daß ich damit eine schwache Gelegenheit finde, ihr einen Beweis meiner Liebe zu geben?‹
Fabrizzio sah in Clelias Brief nichts als einen Anlaß, sie um eine Zusammenkunft zu bitten; das war das einzige, fortwährende Ziel seiner Wünsche. Er hatte erst einmal mit ihr gesprochen, noch dazu nur einen Augenblick lang, bei seiner Einkerkerung, und das war vor mehr als zweihundert Tagen gewesen.
Ein bequemes Mittel bot sich, mit Clelia zusammenzukommen. Der ehrwürdige Abbate Don Cesare hatte Fabrizzio einen halbstündigen Spaziergang auf der Terrasse der Torre Farnese zugestanden, und zwar donnerstags bei Tage; an den anderen Tagen fand dieser Ausgang, der von allen Bewohnern der Stadt Parma und ihrer Umgegend beobachtet werden und somit den Kommandanten leicht verdächtigen konnte, erst bei Anbruch der Nacht statt. Um zur Terrasse der Torre Farnese zu gelangen, gab es keine andere Treppe als die zum kleinen Glockenturm der so trübselig in schwarzem und weißem Marmor ausgeschmückten Kapelle, deren sich der Leser vielleicht entsinnt. Grillo führte Fabrizzio zu dieser Kapelle und öffnete ihm das Treppchen zum Glockenturm. Es wäre seine Pflicht gewesen, ihn dahin zu begleiten, aber da die Abende anfingen, frisch zu werden, ließ ihn der Aufseher allein hinaufsteigen, schloß den Glockenturm, der mit der Terrasse in Verbindung stand, ab und kehrte in seine warme Stube zurück. Konnte sich da Clelia in Begleitung ihrer Kammerzofe nicht eines Abends in der
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