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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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schwarzen Marmorkapelle einstellen?
    Der ganze lange Brief, mit dem Fabrizzio auf den Clelias antwortete, war darauf berechnet, eine solche Zusammenkunft zu erreichen. Dabei gestand er mit vollendeterAufrichtigkeit und als ob es sich um eine fremde Person handle, alle Gründe, die ihn dazu bestimmten, die Zitadelle nicht zu verlassen.
    ›Ich würde mich Tag für Tag tausendfältigem Tod aussetzen, um das Glück zu haben, mit Ihnen durch unsere Buchstaben zu plaudern, die uns jetzt keinen Augenblick trennen. Und Sie wollen, ich solle die Narrheit begehen, mich nach Parma zu verbannen oder vielleicht nach Bologna oder gar nach Florenz! Sie wollen, ich solle fliehen, um mich von Ihnen zu entfernen! Wissen Sie, daß ich unmöglich die Kraft dazu habe? Ich würde Ihnen umsonst mein Wort geben, ich könnte es nicht halten.‹
    Das Ergebnis dieser Bitte um ein Stelldichein war Clelias Ausbleiben, das nicht weniger als fünf Tage dauerte. Fünf Tage lang kam sie in die Vogelstube nur in solchen Augenblicken, da sie wußte, daß Fabrizzio von dem kleinen Guckloch im Fensterschirm keinen Gebrauch machen konnte. Fabrizzio war in Verzweiflung; er schloß aus ihrem Fernbleiben, daß er trotz gewissen Blicken, durch die er zu den törichtsten Hoffnungen verleitet worden war, in Clelia niemals andere Gefühle erweckt hatte als bloße Freundschaft. ›Wenn dem so ist,‹ sagte sich Fabrizzio, ›was liegt mir dann am Leben? Mag Serenissimus es mir nehmen, mir soll es recht sein. Ein Grund mehr, die Zitadelle nicht zu verlassen!‹
    So antwortete er alle Nächte mit tiefem Widerwillen auf die Lichtzeichen. Die Duchezza hielt ihn für völlig verrückt, wenn sie in den Berichten, die ihr Ludovico jeden Morgen brachte, die befremdenden Worte las: ›Ich will mich nicht retten; ich will hier sterben!‹
    Während dieser für Fabrizzio so bitteren fünf Tage war Clelia unglücklicher als er. Ein für ihre hochgemute Seele schrecklicher Gedanke kam ihr: ›Es ist meine Pflicht, in ein Kloster zu fliehen, weit weg von der Zitadelle. Wenn Fabrizzio erfahren wird, daß ich nicht mehr hier bin, und ich es ihm durch Grillo und alle Aufseher sagen lasse, dann wird er sich zu einem Fluchtversuch entschließen.‹Aber ins Kloster gehen, das hieße ja darauf verzichten, Fabrizzio jemals wiederzusehen, und zwar verzichten, nachdem er deutlich den Beweis gegeben, daß die Gefühle, die ihn wohl ehedem an die Duchezza gefesselt hatten, jetzt nicht mehr die seinen waren! Konnte ein junger Mann seine Liebe rührender bekräftigen? Nach einer Haft von sieben Monaten, die seine Gesundheit zerrüttet hatte, schlug er die Wiedererlangung der Freiheit aus. Ein Mensch, der so leichtsinnig war, wie der Hofklatsch ihn Clelia schilderte, hätte zwanzig Geliebte geopfert, um nur einen Tag früher aus der Zitadelle zu entkommen, selbst wenn es sich nicht um ein Gefängnis gehandelt hätte, wo seinem Leben tagtäglich durch Gift ein Ende gesetzt werden konnte!
    Clelia gebrach es an Mut; sie beging den außerordentlichen Fehler, ihre Zuflucht nicht in einem Kloster zu suchen, was doch gleichzeitig den Bruch mit dem Marchese auf ganz natürliche Weise herbeigeführt hätte. Nachdem dieser Fehler einmal begangen war, wie konnte sie da dem so liebenswürdigen, so natürlichen, so zärtlichen jungen Manne widerstehen, der sein Leben gräßlichen Gefahren aussetzte, nur um das schlichte Glück zu haben, sie von Fenster zu Fenster zu sehen?
    Nach fünf Tagen schrecklicher Kämpfe, die von Augenblicken der Selbstverachtung durchsetzt waren, entschloß sich Clelia, auf den Brief zu antworten, in dem Fabrizzio um das Glück gebeten hatte, mit ihr in der schwarzen Marmorkapelle zu sprechen. Zwar schlug sie ihm diese Bitte mit recht harten Worten ab, aber von Stund an war all ihr Frieden dahin; alle Augenblicke führte ihr die Phantasie Fabrizzios Vergiftung vor Augen. Sieben- bis achtmal am Tage kam sie in die Vogelstube, vom leidenschaftlichen Bedürfnis getrieben, sich mit eigenen Augen zu überzeugen, daß Fabrizzio am Leben sei.
    ›Wenn er noch in der Zitadelle ist,‹ sagte sie sich, ›wenn er sich all den Scheußlichkeiten preisgibt, die die Partei der Raversi gewiß gegen ihn anstiftet, um den GrafenMosca zu stürzen, so geschieht das einzig und allein, weil ich zu feige war, in ein Kloster zu fliehen! Er hätte keinen Vorwand, hier zu bleiben, wenn er bestimmt wüßte, daß ich für immer fortgegangen bin.‹
    Das so furchtsame und zugleich so hochmütige Mädchen

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