Die Kartause von Parma
glühenden Seele.
»Ich bin zum Tode verurteilt. Ich bin der Doktor Ferrante Palla. Ich komme samt meinen fünf Kindern vor Hunger um.«
Die Duchezza sah, daß er gräßlich mager war, aber seine Augen waren so schön und so voll zärtlicher Schwärmerei, daß man ihm kein Verbrechen zutrauen konnte. ›Solche Augen‹, dachte sie, ›hätte Palagi [Palagio Palagi (1775-1860), ein Schüler Appianis, war Direktor der Akademie in Rom, später Professor in Mailand.] seinem jüngst in der Kathedrale aufgehängten ›Johannes in der Wüste‹ verleihen sollen.‹ Auf den Gedanken an Johannes den Täufer hatte sie die unglaubliche Magerkeit Ferrantes gebracht. Die Duchezza gab ihm die drei Zechinen, die sie bei sich hatte, wobei sie sich entschuldigte, daß sie ihm so wenig darreiche; sie habe gerade ihrem Gärtner eine Rechnung bezahlt. Ferrante bedankte sich überschwenglich.
»Ach,« sagte er zu ihr, »ehedem wohnte ich in der Stadt und verkehrte mit vornehmen Frauen. Seitdem ich wegen der Erfüllung meiner Bürgerpflicht zum Tode verurteilt bin, lebe ich in den Wäldern, und ich bin Ihnen gefolgt, nicht um ein Almosen von Ihnen zu erflehen oder Sie zu berauben, sondern wie ein Wilder, den eine himmlische Schönheit bezaubert hat. Es ist so lange her, daß ich zwei so schöne weiße Hände gesehen habe!«
»Stehen Sie doch auf!« sagte die Duchezza zu ihm, denn er lag noch immer auf den Knieen.
»Erlauben Sie mir, daß ich so verharre«, entgegnete Ferrante. »Diese Stellung beweist mir, daß ich im Augenblick das Räuberhandwerk nicht betreibe, und das beruhigt mich. Denn Sie sollen wissen, ich räubere, um zu leben, seit man mich hindert, meinen Beruf auszuüben.Aber jetzt bin ich nichts als ein schlichter Mensch in Anbetung vor erhabener Schönheit!«
Die Duchezza begriff, daß er ein wenig verrückt war, aber sie empfand nicht im geringsten Furcht; sie sah an den Augen dieses Mannes, daß er eine gütige Feuerseele hatte, und überdies liebte sie außergewöhnliche Gesichter.
»Ich bin Arzt, und ich machte der Frau des Apothekers Sarazina in Parma den Hof. Er ertappte uns und jagte sie aus dem Hause samt drei Kindern, von denen er mit Fug und Recht argwöhnte, sie seien von mir und nicht von ihm. Jetzt haben wir ihrer noch zwei dazu. Die Mutter und die fünf Kinder leben im äußersten Elend in einer Art Hütte, die ich eigenhändig erbaut habe, eine Stunde von hier im Walde. Ich muß mich nämlich vor den Gendarmen in acht nehmen, und die arme Frau will sich von mir nicht trennen. Ich bin zum Tode verurteilt, durchaus nicht unschuldig, denn ich bin ein Verschwörer. Ich hasse den Fürsten; er ist ein Tyrann. Nur aus Mangel an Geld bin ich nicht geflohen. Mein Unglück ist noch viel größer; ich hätte mich schon tausendmal töten sollen. Ich liebe die unglückliche Frau nicht mehr, die mir fünf Kinder geschenkt und sich um meinetwillen ins Verderben gestürzt hat. Ich liebe eine andere. Aber wenn ich mich töte, dann stürben die fünf Kinder samt der Mutter buchstäblich vor Hunger.«
Der Mann sprach im Tone der Aufrichtigkeit.
»Aber wie leben Sie denn?« fragte die Duchezza gerührt.
»Die Mutter der Kinder spinnt. Die älteste Tochter wird in einem Gehöft von liberalen Leuten ernährt; da hütet sie die Schafe. Ich bin Räuber auf der Landstraße von Piacenza nach Genua.«
»Wie verträgt sich der Raub mit Ihren liberalen Grundsätzen?«
»Ich führe Buch über die Leute, die ich ausplündere, und wenn ich je wieder etwas besitze, erstatte ich ihnen die geraubten Summen zurück. Ein Volksvertreter meines Schlages, meine ich, darf in Anbetracht der Gefahr,in der er schwebt, doch wohl eine kleine Zwangsanleihe von hundert Franken im Monat aufnehmen. In der Tat, ich begnüge mich, nicht mehr zu nehmen als zwölfhundert Franken im Jahre. Das heißt, ich raube eine Kleinigkeit darüber, um die Druckkosten meiner Werke zu decken.«
»Welcher Werke?«
»›Wird Italien je eine Volksvertretung und einen Haushaltplan haben?‹«
»Wie,« rief die Duchezza, »das sind Sie, einer der größten Dichter des Jahrhunderts, der berühmte Ferrante Palla?«
»Berühmt vielleicht, aber sehr unglücklich, das ist sicher!«
»Und ein Mann mit solchem Talent muß räubern, um sein Leben zu fristen?«
»Vielleicht gerade, weil ich etwas Talent habe. Bis auf den heutigen Tag sind alle unsere Autoren, die sich einen Namen gemacht haben, dem Solde der Regierung oder der Religion verfallen, die sie bekämpfen
Weitere Kostenlose Bücher