Die Kartause von Parma
»Gnädige Frau, beweisen Sie mir Ihre Freundschaft, indem Sie sprechen!«
»Es sei! Nur wenige Worte: Den ganzen Aktenkram da im Kamin verbrennen und diesem tückischen Rassi niemals sagen, daß alles verbrannt ist!« Ganz leise und in vertraulichem Ton setzte sie, zur Fürstin gewandt, hinzu: »Wer weiß, ob Rassi kein Richelieu ist!«
»Teufel noch einmal! Diese Papiere kosten mich mehr als achtzigtausend Franken!« rief der Fürst ärgerlich aus.
»Mein Fürst,« erwiderte die Duchezza nachdrücklich, »das kostet es einen, wenn man Schurken von niedriger Herkunft zu Ministern macht. Bei Gott, verlieren Sie lieber eine Million, als daß Sie sich je von diesem gemeinen Halunken abhängig machen, der Ihren Herrn Vater während der letzten sechs Jahre seiner Regierung nicht hat schlafen lassen.«
Die Worte ›von niedriger Herkunft‹ gefielen der Fürstin außerordentlich. Sie hatte immer gefunden, der Graf und seine Freundin hegten eine viel zu hohe Achtung vor dem Geist, der mit dem Jakobinertum immer ein wenig blutsverwandt ist. Während die Fürstin eine kleine Weile unter tiefem Schweigen nachdachte, schlug die Schloßuhr drei. Die Fürstin erhob sich, machte ihrem Sohn eine Verbeugung und sagte zu ihm: »Meine Gesundheit erlaubt mir nicht, die Beratung noch länger hinauszuziehen. Nie einen Minister von niedriger Herkunft! Sie werden mich niemals von der Überzeugung abbringen, daß Ihr Rassi die Hälfte von dem Gelde gestohlen hat, das er für die Spitzelei in Rechnung bringt.«
Sie nahm zwei brennende Leuchter und stellte sie in den Kamin. Dann trat sie an ihren Sohn heran und sagte zu ihm: »Lafontaines Fabel besiegt in meinem Gehirn das gerechte Verlangen, meinen Gatten zu rächen. Ist es mir gestattet, dies Geschreibsel zu verbrennen?«
Der Fürst blieb unbeweglich.
›Er sieht wirklich stumpfsinnig aus‹, dachte die Duchezza.›Der Graf hat recht. Der selige Serenissimus hätte uns nicht bis drei Uhr morgens aufbleiben lassen, um einen Entschluß zu fassen.‹
Immer noch stehend, fuhr die Fürstin fort: »Dieser armselige Jurist wäre sehr stolz, wenn er wüßte, daß seine Aktenwische, die von Lügen strotzen und nur ausgeklügelt sind, um seiner Laufbahn zu nutzen, die beiden höchsten Persönlichkeiten im Lande um ihre Nachtruhe bringen.«
Wie ein Rasender stürzte sich der Fürst auf eine der beiden Aktenmappen und entleerte ihren ganzen Inhalt in den Kamin. Die Unmenge von Papier hätte beinahe die beiden Kerzenflammen erstickt. Das Zimmer füllte sich mit Rauch. Die Fürstin las in den Augen ihres Sohnes, daß er in Versuchung war, eine Flasche Wasser herzunehmen und diese Akten zu retten, die ihn achtzigtausend Franken kosteten.
»Öffnen Sie doch das Fenster!« rief er der Duchezza mißlaunig zu. Die Duchezza gehorchte schleunigst. Im Nu flammten die Papiere hoch auf. Es knisterte und prasselte im Kamin. Alsbald merkte man, daß die Esse in Brand geraten war.
In allen Geldangelegenheiten war der Fürst kein Held. Er wähnte, sein Schloß stehe in Flammen, und es werde mit allen seinen Schätzen vernichtet. Er rannte an ein Fenster und rief mit völlig veränderter Stimme nach der Wache. Die Soldaten stürzten auf den Ruf des Fürsten Hals über Kopf in den Schloßhof. Der Fürst eilte wieder an den Kamin, durch den der frische Luftzug vom offenen Fenster her mit wirklich grausigem Geräusch brauste. Er wurde ungeduldig, fluchte, ging zwei- oder dreimal ganz außer sich hin und her und rannte schließlich davon.
Die Fürstin und die Oberhofmeisterin blieben stehen und sahen sich unter tiefem Schweigen an.
›Wird der Sturm noch einmal losgehen?‹ fragte sich die Duchezza. ›Meinetwegen! Meine Sache ist gewonnen.‹Sie nahm sich vor, in ihren Antworten recht unverschämt zu sein, als ein Gedanke sie erleuchtete. Ihr Blick fiel auf die zweite, unversehrte Aktenmappe. ›Nein, meine Sache ist erst halb gewonnen!‹ Mit kühler Miene fragte sie die Fürstin: »Befehlen Hoheit, daß ich den Rest der Papiere verbrenne?«
»Wo wollen Sie ihn denn verbrennen?« meinte die Fürstin ungnädig.
»Im Kamin des Nebengemachs. Wenn ich Blatt für Blatt hineinwerfe, ist keine Gefahr dabei.«
Die Duchezza nahm die mit Papieren vollgestopfte Mappe unter den Arm, ergriff einen Leuchter und ging in das Nebengemach. Sie gönnte sich die Zeit, festzustellen, daß diese Mappe die Zeugenaussagen enthielt. Fünf oder sechs Aktenpäckchen steckte sie in ihren Schal, den Rest verbrannte sie sorgfältig;
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