Die Kartause von Parma
vor ein Revisionsgericht gestellt wird, das aus den zwölf geachtetsten Richtern des Landes zusammengesetzt sein soll.‹ Zugleich werden Sie ihm eine kleine Kabinettsorder, von Ihrer schönen Hand geschrieben, zur Unterschrift vorlegen. Ich werde sie Ihnen unverzüglich diktieren. Selbstverständlich werde ich die Klausel anbringen, daß das erste Urteil ungültig ist. Dagegen gäbe es nur einen Einwand, aber wenn Sie die Sache rasch erledigen, denkt der Fürst gar nicht daran. Er könnteIhnen sagen: ›Es ist erforderlich, daß sich Fabrizzio von selber wieder als Gefangener stellt.‹ Darauf würden Sie erwidern: ›Er wird sich als Gefangener im Stadtgefängnis einfinden.‹ Sie wissen, dort bin ich Herr; alle Abende wird Ihnen Ihr Neffe einen Besuch machen. Sollte der Fürst einwenden: ›Nein. Seine Flucht war ein Schimpf für die Zitadelle, und ich will der Form halber, daß er in dieselbe Zelle kommt, in der er war‹, dann ist es an Ihnen, zu erklären: ›Nein, denn dann ist er in der Gewalt meines Feindes Rassi‹, und durch eine echt weibliche Bemerkung, die Sie so schön einzurichten wissen, werden Sie ihm zu verstehen geben, daß Sie, um Rassi zu beugen, ihm sehr wohl von der Aktenverbrennung dieser Nacht erzählen könnten. Bleibt er halsstarrig, dann kündigen Sie ihm an, Sie brächten vierzehn Tage in Ihrem Schlosse Sacca zu!
Lassen Sie sich Fabrizzio kommen und fragen Sie ihn um seine Ansicht über diesen Schritt, der ihn unter Umständen wieder zum Gefangenen macht. Um auf alles gefaßt zu sein: Falls Rassi allzu ungeduldig wird und mich vergiften läßt, so schwebt Fabrizzio allerdings in Gefahr. Aber das ist wenig wahrscheinlich. Sie wissen, ich habe einen französischen Koch, das fröhlichste Menschenkind, der nichts als Witze macht. Nun: Witzemacher sind unmöglich nebenbei Giftmischer. Ich habe unserm Freund Fabrizzio bereits mitgeteilt, daß ich alle Zeugen seiner schönen Heldentat aufgetrieben habe. Es ist klar wie der Tag, daß Giletti ihn ermorden wollte. Ich habe Ihnen noch nichts von diesen Zeugen erzählt, weil ich Sie überraschen wollte. Diese Absicht ist nun vereitelt; der Fürst hat die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht unterzeichnen wollen. Ich habe unserm Fabrizzio versprochen, ihm eine hohe kirchliche Würde zu besorgen, aber ich hätte manche Schwierigkeit, wenn seine Feinde beim Römischen Hofe eine Anklage wegen Mordes gegen ihn ausspielten.
Sehen Sie ein, Duchezza, daß ihm der Name Giletti seinganzes Leben lang im Wege ist, wenn er nicht auf die feierlichste Weise freigesprochen wird? Es wäre eine große Kleinmütigkeit, sich den Gerichten zu entziehen, wenn man seiner Unschuld gewiß ist. Und wenn er auch schuldig wäre, ich würde ihn doch freisprechen lassen. Als ich ihm den Vorschlag machte, hat mich der ungestüme junge Mann nicht ausreden lassen; er hat den Hofkalender hergenommen, und wir haben zusammen die zwölf unbescholtensten und gelehrtesten Richter ausgesucht. Als die Liste fertig war, haben wir sechs Namen ausgestrichen und dafür zwei Staatsanwälte, persönliche Gegner von mir, gesetzt. Mehr fanden wir nicht, da ich so viel Feinde nicht habe, und so haben wir noch vier Schurken von Rassis Klüngel dazu genommen.«
Dieser Vorschlag des Grafen versetzte die Duchezza in tödliche und nicht unbegründete Besorgnis. Schließlich fügte sie sich der Vernunft und schrieb nach dem Diktat des Ministers die Kabinettsorder nieder, kraft deren die zwölf Richter einberufen wurden.
Der Graf verließ die Duchezza erst um sechs Uhr früh. Vergeblich versuchte sie zu schlafen. Um neun Uhr frühstückte sie mit Fabrizzio, der darauf brannte, vor seine Richter zu kommen. Um zehn Uhr war sie bei der Fürstin, die noch nicht zu sehen war. Um elf Uhr ließ sie sich beim Fürsten melden, als er seinen Morgenempfang abhielt. Er unterzeichnete die Order ohne den geringsten Einwand. Die Duchezza schickte die Urkunde zum Grafen und legte sich zu Bett.
Es wäre vielleicht spaßhaft, die Wut Rassis zu schildern, als ihm der Graf in Gegenwart des Fürsten die bewußte Kabinettsorder zur Gegenzeichnung vorlegte, aber die Geschehnisse drängen sich. Der Graf erwog die Vorzüge jedes Richters und erbot sich, die Namen zu ändern. Aber der Leser ist all dieser kleinlichen Maßnahmen und nicht minder der Hofränke müde. Aus alledem kann man den Schluß ziehen: Ein Mensch, der sich in das Hofleben begibt, gefährdet sein Glück, wenn er glücklich ist, undmacht manchmal seine
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