Die Kartause von Parma
Beginns waren im Theatersaal nur acht bis zehn ältere Damen anwesend. Diese Gesichter bedrückten den Fürsten keineswegs, und überdies waren sie in München in den wahren Grundanschauungen des Herrschertums erzogen worden: sie klatschten unausgesetzt Beifall. Kraft ihres Amtes als Oberhofmeisterin schloß die Duchezza die Tür ab, durch die die große Masse der Höflinge einzutreten hatte. Der Fürst, der eine literarische Ader und ein schönes Gesicht hatte, kam über die ersten Auftritte ganz vorzüglich hinweg. Verständnisvoll sagte er die Sätze her, die er der Duchezza aus den Augen ablas oderdie sie ihm leise vorsagte. Als gerade einmal die wenigen Zuschauer Beifall spendeten, gab die Duchezza ein Zeichen. Die Haupttür wurde geöffnet, und im Handumdrehen füllte sich der Theatersaal mit allen hübschen Damen der Hofgesellschaft, die zu klatschen anfingen, als sie das reizende Gesicht und die überglückliche Miene des Fürsten sahen. Er errötete vor Freude. Der Fürst gab die Rolle eines Liebhabers der Duchezza. Weit entfernt, ihm weiter vorsagen zu müssen, sah sie sich bald genötigt, der Szene ein Ende zu machen. Er machte seine Liebeserklärungen mit einem Feuer, das seine Partnerin oft in Verlegenheit brachte. Seine Gegenreden dauerten fünf Minuten.
Die Duchezza war nicht mehr die blendende Schönheit wie noch im Jahre vorher. Fabrizzios Gefangenschaft und mehr noch ihr Aufenthalt am Lago Maggiore mit dem mürrisch und schweigsam gewordenen Fabrizzio hatten die schöne Gina um zehn Jahre altern lassen. Ihre Züge hatten sich schärfer aus geprägt; es war mehr Geist darin als Jugend. Nur noch selten zeigten sie jugendliche Frische; aber auf der Bühne, unter Beihilfe von Schminke und anderen Bühnenmitteln, war sie noch immer die schönste Frau am Hofe. Bei den leidenschaftlichen Ergüssen, die der Fürst vortrug, horchten die Hofschranzen auf. Allgemein sagte man an diesem Abend: ›Achtung! Die Balbi des neuen Regimes!‹ Mosca war innerlich empört. Als das Stück zu Ende war, sagte die Duchezza angesichts des ganzen Hofes zum Fürsten: »Eure Hoheit spielen allzu gut. Man wird sagen, Hoheit seien verliebt in eine achtunddreißigjährige Frau. Das könnte meine Heirat mit dem Grafen Mosca vereiteln. Ich werde nicht wieder mit Eurer Hoheit spielen, wenn mir Hoheit nicht schwören, künftig so zu mir zu sprechen, als ob ich eine Dame in vorgerücktem Alter wäre, wie zum Beispiel die Marchesa Raversi.«
Das nämliche Stück wurde dreimal wiederholt. Der Fürst war närrisch vor Glück. Eines Abends jedoch sah er sehr bekümmert aus.
»Entweder irre ich mich stark,« sagte die Oberhofmeisterin zu ihrer Fürstin, »oder Rassi führt irgend etwas gegen uns im Schilde. Ich möchte Eurer Hoheit den Rat geben, für morgen einen Theaterabend anzusagen. Der Fürst wird schlecht spielen und wird Ihnen aus Verzweiflung Andeutungen machen.«
In der Tat spielte der Fürst ganz erbärmlich. Man verstand ihn kaum; er blieb bei jedem Satze stecken. Am Ende des ersten Aktes hatte er beinahe Tränen in den Augen. Die Duchezza blieb um ihn, aber kühl und starr. Als der Fürst einen Augenblick allein mit ihr im Schauspielerzimmer war, schloß er die Tür ab.
»Im zweiten und dritten Akt«, sagte er zu ihr, »kann ich auf keinen Fall spielen. Ich will aber durchaus nicht, daß man mir aus Gefälligkeit zuklatscht. Der Beifall, den man mir heute abend spendet, zermalmt mir das Herz. Geben Sie mir einen Rat: Was soll ich tun?«
»Ich werde vor die Rampe treten, vor Ihrer Hoheit eine tiefe Verbeugung machen, eine zweite vor dem Publikum, wie ein richtiger Theaterdirektor, und verkünden, der Schauspieler, der die Rolle des Lelio gibt, sei plötzlich unpäßlich geworden. Die Vorstellung wird mit ein paar Musikstücken beendet. Graf Rusca und die kleine Ghisoldi werden entzückt sein, ihre krähenden Stimmchen vor einer so glänzenden Gesellschaft hören lassen zu dürfen.«
Der Fürst ergriff die Hand der Duchezza und küßte sie innig.
»Ach, daß Sie kein Mann sind!« sagte er zu ihr. »Sie wären mir ein guter Ratgeber. Rassi hat eben auf meinem Schreibtisch hundertzweiundachtzig Zeugenaussagen gegen die angeblichen Mörder meines Vaters niedergelegt, außerdem eine Anklageschrift von zweihundert Seiten. Das muß ich alles lesen. Und obendrein habe ich mein Wort gegeben, dem Grafen Mosca nichts davon zu sagen. Das führt schnurstracks zu Todesurteilen. Er will bereits, daß ich in Frankreich, in der Umgegend
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