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Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
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Füßen voran aus der Zitadelle hinauskommen.«
    Clelia wurde totenbleich; die Alte bemerkte es und stockte mitten in ihrem Geschwätz. Sie sagte sich, daß sie eine Unvorsichtigkeit begangen hatte, indem sie dergleichen Reden vor der Tochter des Kommandanten führte, der doch später verpflichtet sei, aller Welt zu sagen, Fabrizzio sei an einer Krankheit gestorben.
    Als Clelia wieder nach ihrer Wohnung hinaufstieg, begegnete ihr der Gefängnisarzt, ein biederes, ängstliches Männchen, das ihr mit verstörter Miene mitteilte, Fabrizzio sei sehr krank. Clelia wäre beinahe umgesunken.Sie suchte überall nach ihrem Onkel, dem guten Abbate Don Cesare; endlich fand sie ihn in der Kapelle, wo er inbrünstig betete. Auch er hatte ein verstörtes Gesicht.
    Es läutete zu Tisch. Während der Mahlzeit wurde zwischen den beiden Brüdern kein Wort gewechselt. Nur gegen Ende des Essens richtete der General ein paar spitzige Worte an seinen Bruder. Der warf den Dienern einen Blick zu, worauf sie hinausgingen.
    »Herr General,« sagte Don Cesare zum Kommandanten, »ich habe die Ehre, Ihnen zu melden, daß ich die Zitadelle verlassen werde. Ich reiche meine Entlassung ein.«
    »Bravo, bravissimo! Um mich in Verdacht zu bringen! Und die Veranlassung, wenn ich bitten darf?«
    »Mein Gewissen.«
    »Gehen Sie! Sie sind ja nur ein Pfaffe! Von Ehrbegriffen keinen Schimmer!«
    ›Fabrizzio ist tot!‹ sagte sich Clelia. ›Man hat ihn beim Mittagessen vergiftet, oder es geschieht morgen.‹ Sie eilte in ihre Vogelstube, fest entschlossen, zu singen und sich dabei auf dem Klavier zu begleiten. ›Ich werde beichten,‹ sagte sie sich, ›und der Bruch meines Gelübdes wird mir vergeben werden, denn es gilt, ein Menschenleben zu retten.‹
    Wie groß war ihre Bestürzung, als sie von ihrer Vogelstube aus sah, daß die Fensterschirme durch Bretter mit eisernen Querstangen ersetzt worden waren. Ganz außer sich, versuchte sie dem Gefangenen durch einige mehr gerufene als gesungene Worte ein Zeichen zu geben. Sie bekam keinerlei Antwort. Totenstille herrschte um die Torre Farnese. ›Es ist geschehen!‹ sagte sie sich.
    Fassungslos eilte sie hinunter, dann ging sie wieder hinauf, um das bißchen Geld, das sie besaß, und ihre kleinen Brillantohrringe zu sich zu stecken. Im Vorbeigehen nahm sie das mittags übriggebliebene Brot mit, das vom Diener wieder in den Brotschrank getan worden war. ›Wenn er noch lebt, ist es meine Pflicht, ihn zu retten!‹
    In stolzer Haltung schritt sie nach der kleinen Pforte derTorre Farnese. Sie stand offen; man hatte nur acht Soldaten in die Säulenhalle des Erdgeschosses gelegt. Keck blickte Clelia die Soldaten an. Sie hatte sich vorgenommen, mit dem wachthabenden Sergeanten zu sprechen, aber er war abwesend. Sie sprang die Eisentreppe hinauf, die sich schraubenförmig um eine der Säulen aufwärts wand. Die Soldaten sahen ihr ganz verdutzt zu, aber sie wagten ihr nichts zu sagen, augenscheinlich wegen ihres Spitzenschals und ihres Hutes. Im ersten Stockwerk war kein Mensch, aber als sie in das zweite kam, stieß sie am Eingang des Vorraumes, der, wie sich der Leser erinnert, durch drei eisenbeschlagene Türen abgetrennt war und zur Zelle Fabrizzios führte, auf einen ihr wohlbekannten Schließer, der ihr mit bestürzter Miene meldete: »Er hat noch nicht gegessen.«
    »Ich weiß wohl«, erwiderte Clelia hochmütig. Der Mann wagte sie nicht aufzuhalten. Zwanzig Schritte weiter fand Clelia einen anderen Aufseher, der auf der untersten der sechs Holzstufen saß, die zu Fabrizzios Zelle hinaufführten, einen alten Mann mit stark gerötetem Gesicht. Er sagte bärbeißig zu ihr: »Signorina, haben Sie einen Befehl des Herrn Kommandanten?«
    »Kennen Sie mich denn nicht?«
    In diesem Augenblick war Clelia von übernatürlicher Kraft beseelt; sie wußte nicht, was sie tat. ›Ich muß meinen Gatten retten‹, sagte sie sich.
    Während der alte Aufseher rief: »Meine Pflicht verbietet mir...«, schnellte Clelia die Stufen hinauf und stürzte auf die Tür zu. Ein Riesenschlüssel stak im Schloß. Mit Aufbietung aller Kräfte drehte sie ihn herum. Da hielt sie der alte halb betrunkene Aufseher am Saum ihres Rockes fest. Rasch trat sie in die Zelle. Ihr Kleid zerriß, als sie die Tür zuwarf, und da der Alte an der Klinke rüttelte, um ihr nachzukommen, schob sie den Riegel vor.
    Clelia blickte sich in der Zelle um und sah Fabrizzio vor einem winzigen Tischchen sitzen, auf dem sein Mittagsmahlstand. Sie flog an den

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