Die Kartause von Parma
als sie die Giftmischerei entdeckt sahen, und eilten vor dem General hinunter. Sie taten so, als wollten sie ihm die enge Wendeltreppe frei machen. In Wirklichkeit retteten sie sich und verschwanden. Zum großen Erstaunen des Generals Fontana blieb Fabrizzio eine reichliche Viertelstunde mitten auf der schmalen Eisentreppe, die um die Mittelsäule des Erdgeschosses herumführte, stehen. Er wollte Clelia Zeit verschaffen, sich im ersten Stock zu verbergen.
Es war die Duchezza, die es nach etlichen tollen Versuchen durchgesetzt hatte, daß der General Fontana in die Zitadelle geschickt wurde. Durch Zufall war es ihr gelungen.
Als sie den Grafen Mosca verlassen hatte, der ebenso erregt war wie sie, war sie ins Schloß geeilt. Die Fürstin, die eine ausgesprochene Abneigung gegen Entschlossenheit hegte und sie für etwas Unvornehmes hielt, glaubte, die Duchezza wäre verrückt geworden, und zeigte nicht die geringste Lust, zu ihren Gunsten irgendeinen ungewöhnlichen Schritt zu versuchen. Die Duchezza, ganz außer sich, weinte heiße Tränen. Ratlos wiederholte sie immer wieder:
»Hoheit, in einer Viertelstunde ist er am Gift gestorben!«
Als die Duchezza die völlige Kaltherzigkeit der Fürstin erkannte, wurde sie wahnwitzig vor Schmerz. Eine moralische Erkenntnis, auf die ein in nordischem Glauben erzogenes und an Selbstprüfung gewöhntes Weib unbedingt gekommen wäre, lag ihr völlig fern. Sie hätte sich sagen müssen: ›Ich habe zuerst Gift verwendet: jetzt droht mir Gift!‹ In Italien wären solche Betrachtungen in leidenschaftlichen Augenblicken das Zeichen eines platten Geistes ebenso wie in Paris ein Kalauer unter denselben Verhältnissen.
In ihrer Qual ging die Duchezza auf gut Glück in das Zimmer, wo sich der Marchese Crescenzi befand, der an diesem Tage Dienst tat. Bei der Rückkehr der Duchezza nach Parma hatte er ihr überschwenglich für die Ernennung zum Kammerherrn gedankt, die er ohne ihre Verwendung nie hätte beanspruchen können. Er verfehlte nicht, sich von neuem in endlosen Beteuerungen seiner Ergebenheit zu verlieren. Die Duchezza unterbrach ihn mit folgenden Worten: »Rassi will Fabrizzio vergiften. Er ist wieder in der Zitadelle. Stecken Sie sich etwas Schokolade und eine Flasche Wasser in die Tasche. Ich gebe Ihnen beides. Eilen Sie in die Zitadelle und retten Sie mir sein Leben! Sagen Sie zu General Fabio Conti, Sie brächen mit seiner Tochter, wenn er Ihnen nicht gestatte, Fabrizzio dieses Wasser und diese Schokolade persönlich zu überbringen!«
Der Marchese erbleichte. Weit entfernt, von ihren Worten belebt zu werden, verriet sein Gesicht die geistloseste Verlegenheit. Er könne an ein so fürchterliches Verbrechen in einer so sittenstrengen Stadt wie Parma, wo ein so vortrefflicher Fürst herrsche, nicht glauben, und so weiter. Obendrein sagte er diese Albernheiten im langsamsten Ton. Mit einem Wort, die Duchezza hatte es zwar mit einem Ehrenmann zu tun, aber mit einem übergroßen Schwächling, der sich zu einer Tat nicht aufzuschwingen vermochte. Nach zwanzig ähnlichen Redensarten, die von ungeduldigen Ausrufen der Duchezza unterbrochenwurden, fiel ihm ein ausgezeichneter Gedanke ein: sein Diensteid als Kammerherr verbiete ihm, sich in Umtriebe gegen die Regierung einzulassen.
Die Herzensangst und die Trostlosigkeit der Duchezza spotteten jeder Beschreibung. Sie fühlte, wie die Zeit verflog.
»So suchen Sie doch wenigstens den Kommandanten auf! Sagen Sie ihm, ich würde Fabrizzios Mörder bis an das Ende der Welt verfolgen!«
Die furchtbare Pein erhöhte die natürliche Beredsamkeit der Duchezza, aber all ihr Feuer schreckte den Marchese noch mehr ab und verdoppelte nur seine Unschlüssigkeit. Nach Verlauf einer Stunde war er weniger geneigt zu handeln als im ersten Augenblick.
Auf dem Gipfel ihrer unsäglichen Verzweiflung und in der festen Überzeugung, daß der Kommandant einem so reichen Schwiegersohne nichts abschlagen werde, warf sich die Duchezza schließlich dem Marchese zu Füßen. Aber das schien seine Zaghaftigkeit nur zu vermehren. Angesichts dieses seltsamen Schauspiels bekam er Angst, er habe sich unwissentlich bloßgestellt. Aber etwas Merkwürdiges geschah. Der Marchese, im Grunde ein gutmütiger Mensch, ward gerührt von den Tränen und dem Kniefall eines ebenso schönen wie vor allem mächtigen Weibes.
›Wer weiß,‹ sagte er sich, ›ob ich nicht selber, ich, der ich so vornehm und so reich bin, eines Tages ebenso auf den Knieen vor irgendeinem
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