Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kartause von Parma

Die Kartause von Parma

Titel: Die Kartause von Parma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stendhal
Vom Netzwerk:
Liberalen und die Freiheit wie toll vorzugehen. Sehr bald bildete er sich ein, man hasse ihn. Zu guter Letzt ließ er in einer Anwandlung von schlechter Laune zwei Liberale hängen, die wahrscheinlich nicht viel verbrochen hatten. Ein gewisser Rassi, sozusagen sein Justizminister, ein elender Kerl, hatte ihn dazu verleitet.
    Seit dieser verhängnisvollen Stunde ist das Leben des Fürsten von Grund aus verändert. Der sonderbarste Argwohn peinigt ihn. Er ist noch keine fünfzig, aber die Angst hat ihn so arg ausgemergelt, wenn man sich dieses Ausdrucks bedienen darf, daß sein Gesicht das Aussehen eines Achtzigjährigen annimmt, wenn er von Jakobinern und Pariser Revolutionsideen spricht. Er fürchtet sich wie ein kleines Kind vor dem Zauberer aus dem Märchen. Dieser Furcht seines Gebieters verdankt sein Günstling Rassi, der Großfiskal (Oberrichter), seinen Einfluß, und sobald er den irgendwie gefährdet wähnt, entdeckt er schleunigst eine neue Verschwörung der schlimmsten undabenteuerlichsten Art. Dreißig Unvorsichtige haben sich zusammengetan und auf ein Exemplar des ›Constitutionnel‹ abonniert; sogleich erklärt Rassi sie für Verschwörer und läßt sie in die berüchtigte Zitadelle von Parma, den Schrecken der ganzen Lombardei, einkerkern. Da sie sehr hoch gelegen ist, angeblich hundertundachtzig Fuß, so sieht man sie schon aus weiter Ferne über der ungeheueren Ebene. Das Äußere dieses Gefängnisses und die gräßlichen Dinge, die man sich von ihm erzählt, machen es zur gefürchteten Tyrannin der lombardischen Ebene, die sich von Mailand bis Bologna ausdehnt.
    »Sie werden es kaum glauben,« erzählte ein anderer Reisender der Gräfin, »Ernst IV. zittert nachts im dritten Stock seines Palastes, obwohl dieser von achtzig Posten bewacht wird, die alle Viertelstunden laut brüllen müssen. Sämtliche Türen sind zehnfach verschlossen, und die angrenzenden Zimmer über und unter den seinen sind wegen seiner Jakobinerangst voller Soldaten. Wenn das Parkett knarrt, so greift er nach seinen Pistolen, im Wahn, ein Liberaler stecke unter seinem Bett. Sogleich werden alle Klingeln im Schloß in Bewegung gesetzt, und ein Adjutant weckt eiligst den Grafen Mosca. Im Schloß angelangt, hütet sich der Polizeiminister, die Verschwörung zu leugnen, im Gegenteil. Allein mit dem Fürsten und bis an die Zähne bewaffnet, durchsucht er alle Winkel der Gemächer, sieht unter die Betten, mit einem Wort, er unterzieht sich einer Menge lächerlicher Handlungen, die eines alten Weibes würdig wären. Alle diese Sicherheitsmaßregeln wären dem Fürsten in den schönen Zeiten, als er im Kriege war und nur den Massenmord auf dem Gewissen hatte, selber demütigend erschienen. Als kluger Mann schämt er sich dieser Vorkehrungen; sie dünken ihn lächerlich, selbst im Augenblick, da er ihnen verfallen ist; und die unbegrenzte Macht des Grafen liegt darin, daß er seine ganze Gewandtheit aufbietet, damit der Fürst in seiner Gegenwart niemals zu erröten braucht. Mosca besteht in seiner Eigenschaftals Polizeiminister selbst darauf, unter alle Möbel und, wie man in Parma sagt, sogar in die Geigenkästen hineinzugucken. Dann ist es der Fürst, der sich dem widersetzt und seinen Minister wegen seiner übertriebenen Genauigkeit auslacht. »Das muß sein!« antwortet der Graf Mosca. »Hoheit wollen an die Spottgedichte denken, mit denen uns die Jakobiner überschütten würden, wenn wir Serenissimus ermorden ließen. Wir schützen nicht nur Allerhöchstdero Leben, wir schützen unsere Ehre!« Aber der Fürst ist offenbar nur halb überzeugt, denn sobald irgendwer in der Stadt sich untersteht zu sagen, man habe gestern im Schloß eine schlaflose Nacht verbracht, läßt der Oberrichter Rassi das Schandmaul in die Zitadelle sperren, und ist der Verbrecher einmal in dieser höheren Wohnung, in guter Luft, wie man in Parma zu sagen pflegt, so müßte ein Wunder geschehen, wenn man sich je des Eingelochten wieder erinnerte. Weil der Fürst Soldat ist und sich in Spanien soundsovielmal mit der Pistole in der Hand bei Überfällen durchgeschlagen hat, schätzt er Mosca mehr als Rassi, der geschmeidiger und gewöhnlicher ist. Die unglücklichen Gefangenen in der Zitadelle werden in strenger Abgeschlossenheit gehalten, und man erfindet auf ihre Unkosten Mordsgeschichten. Die Liberalen behaupten, auf Rassis Weisung hätten die Gefängniswärter und Beichtväter Befehl, ihnen einzureden, daß ungefähr jeden Monat einer von ihnen

Weitere Kostenlose Bücher