Die Kartause von Parma
und um besser von ihr zu träumen, ging er nicht in ihre Loge hinunter. »Sie hat sich mitNani nur darum eingelassen, sagt man mir, um dem Schafskopf, dem Limercati, einen Possen zu spielen, weil er nichts davon wissen wollte, dem Mörder ihres Mannes mit dem Degen oder dem Dolch in der Hand auf den Leib zu rücken. Ich würde mich ein dutzendmal für sie schlagen!« rief der Graf begeistert aus. Alle Augenblicke sah er nach der Theateruhr, die den Zuschauern durch matt erleuchtete Ziffern auf dunklem Grund von fünf zu fünf Minuten die Stunde anzeigte, da es ihnen erlaubt war, in eine befreundete Loge zu kommen. Der Graf sagte zu sich: ›Als Bekannter so frischen Datums darf ich höchstens eine halbe Stunde in ihrer Loge sein; wenn ich länger dableibe, mache ich mich lächerlich, bei meinem Alter und ganz besonders mit meinen verdammten gepuderten Haaren.‹ Aber ein anderer Gedanke brachte ihn urplötzlich zum Entschluß: ›Wenn sie jetzt ihre Loge verließe, um einen Besuch zu machen, da hätte ich einen netten Lohn für den Geiz, mir diesen Genuß so lange aufzusparen.‹ Er stand auf, um in die Loge der Gräfin hinunterzugehen. Mit einem Male empfand er beinahe keine Lust, sich dort einzustellen. ›Das ist ja reizend!‹ meinte er belustigt bei sich und blieb auf der Treppe stehen. ›Ein richtiger Anfall von Schüchternheit! Solch ein Abenteuer ist mir seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr widerfahren!‹
Er trat in die Loge, wobei er sich beinahe Gewalt antun mußte, aber als Weltmann benützte er das Mißgeschick, das ihn heimsuchte, und gab sich gar keine Mühe, heiter oder geistreich zu sein. Er stürzte sich in keine scherzhafte Unterhaltung; er hatte den Mut, schüchtern zu sein, und wandte seinen Geist dazu an, seine Verwirrung leicht durchblicken zu lassen, ohne lächerlich zu werden. ›Wenn sie die Sache falsch auffaßt,‹ sagte er sich, ›bin ich verloren für immer. Was, schüchtern mit gepudertem Haar, das ohne den Puder grau aussähe? Aber schließlich ist es einmal so, und etwas Wahres kann nicht lächerlich sein, wenn ich es nicht übertreibe oder damit prahle.‹
Die Gräfin hatte sich im Schloß Grianta in Gesellschaft der Puderköpfe ihres Bruders, ihres Neffen und gutgesinnter geistloser Nachbarn so oft gelangweilt, daß es ihr nicht einfiel, sich um die Haartracht ihres neuen Verehrers zu kümmern. Viel zu klug, war sie gefeit dagegen, sofort über irgend etwas zu lachen; sie war auf nichts gespannt als auf Nachrichten von Frankreich, die Mosca ihr immer insgeheim überbrachte, sobald er ihre Loge betrat. Zweifellos erdichtete er sie. Während sie mit ihm darüber sprach, bemerkte sie an diesem Abend, daß in seinen Augen Schönheit und Güte lagen.
»Ich denke mir,« sagte sie zu ihm, »daß Sie in Parma mitten unter Ihren Sklaven keinen so liebenswürdigen Blick haben; das würde alles verderben und trügerische Hoffnungen erwecken; man würde den Galgen nicht mehr fürchten.«
Der völlige Mangel an Wichtigtuerei bei einem Mann, der für den ersten Staatsmann Italiens galt, kam der Gräfin sonderlich vor; sie fand sogar, er habe Anmut. Da er sonst vorzüglich und mit Feuer zu plaudern verstand, war sie schließlich gar nicht unangenehm berührt, daß er es für einen Abend vorzog, ausnahmsweise die Rolle des aufmerksamen Zuhörers zu spielen.
Das war ein großer Schritt vorwärts, aber recht gefährlich. Zum Glück für den Minister, der in Parma sprödes Verhalten nicht gewöhnt war, weilte die Gräfin erst wenige Tage in Mailand; ihr Geist war von dem Einerlei des Landlebens noch ganz eingerostet. Sie hatte das Scherzen verlernt, und alle Dinge, die zu einer eleganten, flotten Lebensweise gehören, hatten in ihren Augen einen Schimmer der Neuheit angenommen, der wie ein Heiligenschein wirkte. Sie war keinesfalls zum Spotten aufgelegt, nicht einmal über einen fünfundvierzigjährigen schüchternen Verliebten. Acht Tage später hätte das Wagnis des Grafen vielleicht eine ganz andere Aufnahme gefunden.
In der Scala ist es Brauch, derartige kleine Logenbesuchenicht über zwanzig Minuten dauern zu lassen. Der Graf blieb den ganzen Abend in der Loge, wo er das Glück hatte, mit der Gräfin Pietranera zusammen zu sein. ›Diese Frau‹, sagte er sich, ›verleiht mir alle Torheiten der Jugend wieder!‹ Allein er verhehlte sich auch die Gefahr nicht. ›Vermag meine Stellung als allmächtiger Pascha, vierzig Stunden fern von hier, diese Narrheit zu entschuldigen? Parma ödet
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