Die Kartause von Parma
Fürstin verbrachte ihr Leben mit dem ehrwürdigen Padre Landriani, dem Erzbischof von Parma, einem sehr gelehrten, sogar geistvollen und durch und durch rechtschaffenen Mann, der freilich einen sonderbaren Anblick darbot, wenn er in seinem karmesinroten Lehnstuhl saß (das war das Vorrecht seiner Stellung) und ihm gegenüber die Fürstin, umgeben von ihren Hof- und Ehrendamen. Der alte Prälat in seinen langen weißen Haarenwar wohl noch schüchterner als die Fürstin. Sie sahen sich alle Tage, aber alle seine Besuche begannen mit einer reichlichen Viertelstunde beiderseitigen Schweigens. Die Gräfin Alvizi, eine der Ehrendamen, war darum sozusagen ihr Liebling geworden, weil sie sich darauf verstand, das Stillschweigen zu brechen und eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
Die Reihe der Vorstellungen schloß damit, daß die Duchezza bei Seiner Hoheit dem Erbprinzen eingeführt wurde. Dieser war noch größer als sein Vater und noch schüchterner als seine Mutter. Er war ein großer Mineralog und sechzehn Jahre alt. Als er die Duchezza eintreten sah, ward er über und über rot und geriet derartig in Verlegenheit, daß er nicht ein Wort fand, das er der schönen Dame hätte sagen können. Er war ein recht schöner Mensch und verbrachte seine Tage im Walde, mit einem Hammer in der Hand. Im Augenblick, als sich die Duchezza erhob, um dem stummen Empfang ein Ende zu machen, rief der Erbprinz aus: »Mein Gott, gnädige Frau, wie sind Sie hübsch!«, was der Dame, die vorgestellt wurde, keinen allzu üblen Geschmack verriet.
Die Marchesa Balbi, eine junge Frau von fünfundzwanzig Jahren, konnte zwei oder drei Jahre vor der Ankunft der Herzogin in Parma für das vollendete Urbild einer hübschen Italienerin gelten. Noch jetzt hatte sie die schösten Augen von der Welt und das anmutigste Benehmen. Aber aus der Nähe betrachtet, war ihre Haut von einer Unzahl feiner Fältchen durchzogen, die ihr ein altes Aussehen gaben. Von weitem gesehen, zum Beispiel im Theater, in ihrer Loge, war sie noch eine Schönheit, und die Leute im Parkett fanden, der Fürst habe einen sehr guten Geschmack. Er verbrachte alle Abende bei der Marchesa Balbi, aber sehr oft tat er den Mund nicht auf, und die Wahrnehmung, daß sich der Fürst langweile, hatte die arme Frau auffällig abmagern lassen. Sie gab sich den Anstrich ungemeiner Klugheit und lächelte häufig boshaft;sie besaß die schönsten Zähne der Welt und wollte durch ihr Lächeln, das im Grunde gar nichts bedeutete, ihren Worten einen tieferen Sinn verleihen. Graf Mosca behauptete, durch dieses ewige Lächeln, hinter dem sie innerlich gähne, seien ihre vielen Runzeln entstanden. Die Balbi mischte sich in alle Staatsgeschäfte, und die Staatskasse nahm keinen Tausendfrankenschein ein, ohne daß dabei für die Marchesa ein Souvenir, wie man in Parma verständnisvoll sagte, abgefallen wäre. Ein Gerücht im Volke behauptete, sie habe in England sechs Millionen angelegt; in Wirklichkeit überschritt ihr ja noch junges Vermögen nicht die Höhe von anderthalb Millionen. Um vor ihren Kniffen sicher zu sein und sie in der Hand zu haben, hatte sich der Graf Mosca zum Finanzminister gemacht. Die einzige Leidenschaft der Marchesa war die hinter schmutzigem Geiz versteckte Furcht: ›Ich werde auf einer Schütte Stroh sterben!‹ Den Fürsten, dem sie dies bisweilen sagte, empörte ihre Redensart. Die Duchezza machte die Wahrnehmung, daß im schwervergoldeten Vorzimmer des Palazzo Balbi eine einzige Kerze benutzt wurde, deren Wachs auf einen kostbaren Marmortisch herabträufelte, und daß an den Salontüren Abdrücke von schmutzigen Lakaienfingern zu sehen waren.
»Sie hat mich empfangen,« erzählte die Duchezza ihrem Freunde, »als ob sie eine Spende von fünfzig Franken von mir erwartet hätte.«
Die Reihe der Erfolge der Duchezza wurde ein wenig durch den Empfang unterbrochen, den ihr die verschlagenste Frau am Hofe, die berüchtigte Marchesa Raversi [die berüchtigte Marchesa Raversi: Auch darin steckt eine Reminiszenz an Beyles ihm unvergeßliche Zeit in Mailand. Seine ›einzige Feindin‹ (wie er in seinen ›Souvenirs d'Égotisme‹ sagt) war eine Signora Raversi, die Freundin von Mathilde Dembowska.] , bereitete, eine vollendete Intrigantin und das Haupt der dem Grafen Mosca feindlichen Partei. Sie wollte ihn stürzen, und jetzt mehr denn je, weil sie die Nichte des Duca di Sanseverina war und ihre Erbaussicht durch die Reize der neuen Herzogin bedroht sah.
Ȇber die Raversi darf
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