Die Kartause von Parma
auf und verbreitete sie in der Hoffnung, sie werde den Fürsten unliebsam berühren. In der Tat hatte Ernst IV. wiederholt erklärt, man müsse hauptsächlich auf die Einbildungskraft der Untertanen wirken. »Lebenslänglich,« pflegte er zu sagen, »das ist ein schweres Wort und in Italien fürchterlicher als anderwärts.« Demzufolge hatte er noch nie in seinem Leben jemanden begnadigt.
Acht Tage nach ihrem Besuch der Zitadelle erhielt die Duchezza eine Begnadigungsurkunde, die vom Fürsten und dem Premierminister unterzeichnet war; der Name war jedoch nicht ausgefüllt. Der Sträfling, dessen Namen sie eintrüge, sollte sein Vermögen zurückerhalten sowie die Erlaubnis, den Rest seines Lebens in Amerika zu verbringen. Die Duchezza schrieb den Namen des Mannes, mit dem sie gesprochen hatte, in die Urkunde. Unglücklicherweise war das gerade ein halber Schurke, ein schwacher Charakter: auf sein Geständnis hin war der berühmte Ferrante Palla zum Tode verurteilt worden. Dieser einzig dastehende Gnadenakt hob die Stellung der Duchezza noch mehr. Graf Mosca war närrisch vor Glück; er stand im Zenit seines Lebens.
Alles das wurde von entscheidendem Einfluß auf Fabrizzios Geschick. Er war noch immer in Romagnano bei Novara, beichtete, ging auf die Jagd, las nicht eine Zeile und machte einer vornehmen Dame den Hof, wie es die Vorschrift verlangte. Über diese letzte Notwendigkeit war die Gräfin von Anfang an ein wenig aufgebracht.Ebenso merkwürdig war es, daß sie niemals in Gegenwart des Grafen von Fabrizzio sprach, ohne sich vorher jedes Wort ihrer Rede zu überlegen, während sie ihm gegenüber sonst in allen Dingen von der größten Offenheit war und in seiner Gegenwart geradezu laut dachte. Ihm war es entgangen.
»Wenn es Ihnen recht ist,« sagte er zu ihr, »schreibe ich Ihrem liebenswürdigen Bruder am Comer See, diesem Marchese del Dongo, und nötige ihn, indem ich meinen Einfluß und den meiner Freunde in ... aufbiete, Ihrem lieben Fabrizzio Begnadigung zu erwirken. Wenn es wahr ist, und ich wage nicht daran zu zweifeln, daß er etwas höher steht als die übrige Jugend, die ihre englischen Pferde in den Straßen Mailands tummelt, so muß es ihn bedrücken, mit achtzehn Jahren nichts zu tun zu haben und voraussichtlich niemals im Leben etwas zu tun zu kriegen. Wenn ihm der Himmel irgendeine Leidenschaft verliehen hätte, wofür es auch sei, und wäre es die, zu angeln, so ließe ich es mir gefallen; aber was sollte er in Mailand anfangen, selbst wenn er begnadigt würde? Zu bestimmter Stunde reitet er seinen englischen Vollblüter, zu einer anderen treibt ihn sein Müßiggang zu seiner Geliebten, die er weniger liebt als sein Pferd. Wenn es Ihnen recht ist, will ich versuchen, Ihrem Neffen einen Wirkungskreis zu schaffen.«
»Ich möchte gern, daß er Offizier wird«, sagte die Duchezza.
»Welcher Monarch sollte einen Posten, der eines schönen Tages von gewisser Bedeutung sein kann, einem jungen Mann anvertrauen, der erstens begeisterungsfähig ist und zweitens Begeisterung für Napoleon bekundet hat, indem er bei Waterloo zu ihm wollte? Bedenken Sie, was wären wir alle heute, wenn Napoleon bei Waterloo gesiegt hätte? Die Liberalen hätten wir allerdings nicht zu fürchten; aber die Monarchen aus den alten Herrscherhäusern könnten sich ihre Krone nur erhalten, wenn sie die Töchter napoleonischer Marschälle heirateten. Unterden heutigen Umständen wäre die Soldatenlaufbahn für Fabrizzio genau so wie das Dasein eines Eichhörnchens im Drehkäfig: viel Bewegung und kein Vorwärtskommen. Er hätte den Ärger, sich von jedem plebejischen Streber überflügelt zu sehen. Heutzutage, das heißt etwa in den nächsten fünfzig Jahren, solange wir Angst haben und die Tradition noch nicht wieder hergestellt ist, kommt es für einen jungen Mann vor allem darauf an, unfähig zur Begeisterung und arm an Geist zu sein. Ich habe an etwas gedacht, worüber Sie vielleicht zunächst entsetzt sein werden und was mir endlose Scherereien – und nicht nur für kurze Zeit – machen wird, ja was geradezu eine Torheit ist, die ich Ihnen zuliebe vollführen will. Aber gestehen Sie es mir, Sie wissen ja, welche Torheit beginge ich nicht, nur um ein Lächeln von Ihnen zu erringen?«
»Nun?« fragte die Duchezza.
»Nun, wir haben in Parma drei Mitglieder Ihres Hauses als Erzbischöfe gehabt: Ascanio del Dongo, der 1650 im Amt war, Fabrizzio Anno 1699 und noch einen Ascanio Anno 1740. Wenn Fabrizzio in den geistlichen
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